Berlin (epd). Furcht vor dem Versagen als Elternteil, Angst um die Sicherheit der Kinder, schwierige Gespräche in der Familie: Menschen mit Missbrauchserfahrung sehen sich beim Thema Elternschaft besonderen Herausforderungen gegenüber, wie eine am Dienstag in Berlin vorgestellte Studie zeigt. Sie weist auch auf große Lücken bei der Unterstützung der Betroffenen hin.
Für die Studie wurden 619 Menschen, die im Kindesalter sexuelle Gewalt erfahren haben, mithilfe von Online-Fragebögen befragt. Knapp drei Viertel von ihnen waren zum Erhebungszeitpunkt Eltern. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden noch eingehender befragt. An der Konzeption der Studie, die von der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs gefördert wurde, war auch eine Forschungsgruppe aus sechs Betroffenen beteiligt.
Die Untersuchung schließe eine „Forschungslücke“, sagte Studienleiterin Barbara Kavemann. Es habe sich gezeigt, dass die persönliche Erfahrung von sexualisierter Gewalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Elternschaft Thema werden könne. Dies beginne schon bei der Entscheidung für oder gegen eigene Kinder. Ein großes Thema für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sei auch die Frage, wie sie ihre Kinder vor sexueller Gewalt schützen könnten.
Die zweifache Mutter Ava Anna Johannson aus der Forschungsgruppe berichtete, dass sie ihre Geburten als „zutiefst retraumatisierend“ empfunden habe. Sie wünsche sich, dass Hebammen und weiteres medizinisches Personal in der Geburtshilfe besser für Missbrauchserfahrungen sensibilisiert wären.
Schwierig sei es auch gewesen, mit ihren Kindern über das, was ihr widerfahren war, zu sprechen, sagte Johannson. Sie habe sich schrittweise vorgearbeitet. „Letztlich hat es den Kontakt zwischen mir und meinen Kindern enger gemacht“, berichtete Johannson. Die Kinder hätten später leichter über eigene problematische Erfahrungen sprechen können.
Claas Löppmann aus der Forschungsgruppe sagte ebenfalls, dass die eigenen schwierigen Kindheitserfahrungen sich auch positiv nutzen ließen: So sei die „Perfidität der Täter“ für Nichtbetroffene kaum vorstellbar, für Menschen mit Missbrauchserfahrung aber schon. Auch seien sie oft empfänglicher für Signale von Kindern, die Bedrohliches erleben.
Löppmann hob die grundsätzliche Bedeutung von Kommunikation hervor. „Das Allerwichtigste, was wir tun können, ist, darüber zu sprechen“, sagte er - das gelte beim Kontakt mit Fachpersonal wie Hebammen, Kita-Erzieherinnen oder Lehrkräften ebenso wie im persönlichen Umfeld. Fachkräften müsse Mut gemacht werden, das Thema anzusprechen.
Bei der Unterstützung betroffener Eltern gebe es „mächtige Defizite“, beklagte auch Studienleiterin Kavemann. „Es braucht gut zugängliche Beratung, die die Folgen der Gewalt und die möglichen Belastungen kennt und die Betroffenen in ihrer Elternrolle stärkt und unterstützt“, sagte sie.
Ihr gehe es vor allem darum, die Fachkenntnis „im Regelsystem“ auszubauen, also in den Beratungsstellen, „die für alle und in jeder Kommune verfügbar und zugänglich sind“, unterstrich die Soziologin. „Hier sehen wir, dass kein Fachwissen zu diesem Thema vorhanden ist, und das muss hineingetragen werden.“ Entsprechende Fortbildungen sollten unter Einbeziehung betroffener Eltern entwickelt werden, sagte Kavemann.