TV-Tipp: "A Better Place"

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Mittwoch, 22. Januar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "A Better Place"
Verurteilte Straftäter, die ihr Leben nicht hinter Gittern verbringen, sondern "draußen" resozialisiert werden. Zunächst unterstützt die Bevölkerung das Projekt "Trust", doch dann kippt die Stimmung.

In einer besseren Welt könnten Frauen nachts unbesorgt durch den Park gehen. Haustüren blieben unverschlossen, Männer würden sich nicht an Kindern vergreifen; Gefängnisse wären nicht nötig. Deren Nutzen ist ohnehin zweifelhaft: Die Rückfallquote liegt bei fünfzig Prozent; manche Menschen wechseln erst im Knast so richtig auf die dunkle Seite. Auch der Abschreckungseffekt ist überschaubar.

Trotzdem vertrauen Rechtssysteme seit Jahrtausenden auf Vergeltung. Dabei wäre es viel wirkungsvoller, Kriminelle so rasch wie möglich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Der französische Philosoph Michel Foucault hatte diese Idee schon vor fünfzig Jahren, Alexander Lindh und Laurent Mercier haben sie für ihre Serie "A Better Place" umgesetzt: In einer fiktiven Stadt im Rheinland werden 300 Häftlinge aus einem Gefängnis entlassen, um mit Hilfe von Arbeit und Therapie resozialisiert zu werden.

Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt das vom idealistischen Bürgermeister Amir Kaan (Steven Sowah) und der österreichischen Kriminologieprofessorin Petra Schach (Maria Hofstätter) initiierte Projekt "Trust" (Vertrauen). Die Stimmung kippt jedoch, als sogenannte besorgte Bürger durch die gezielte Sorglosigkeit einer Trust-Mitarbeiterin in den Besitz einer Datei mit den Namen, Fotos und Adressen der Kriminellen kommen.

Prompt geht ein Aufschrei durch Medien und Bevölkerung: Einer der entlassenen Männer ist ein rassistischer Mörder, ein anderer ein "Kinderschänder". Der Volkszorn entlädt sich schließlich in der Trust-Zentrale.

Die Szene erinnert auf beklemmende Weise an den Sturm aufs Kapitol in Washington im Januar 2021, verdeutlicht aber die Schwäche des Projekts, wie die zwischenzeitlich abberufene Kriminologin erkennt: Das Konzept hat Opfer und Täter berücksichtigt, "die Angst der anderen" jedoch außer acht gelassen.

Die Serie schildert die Fiktion betont realitätsnah und ist dank des vielköpfigen Ensembles auch mit acht Folgen à 45 Minuten nicht zu lang. Lindh, Mercier und Koautorin Karin Kaçi haben die Handlung auf rund ein Dutzend Figuren verteilt.

Dazu zählen neben dem Bürgermeister und der Kriminologin auch Sozialarbeiterin Eva Blum (Katharina Schüttler), deren Mann Mark (Johannes Kienast) ebenfalls zu den Ex-Häftlingen gehört. Anfangs macht die Serie ein kleines Geheimnis daraus, was sie auf dem Kerbholz haben. Gerade Mark wirkt zudem nicht wie ein Verbrecher, aber das ist natürlich ein cleverer Schachzug des von Lindh und Kaçi angeführten siebenköpfigen Drehbuchteams: Auch der Familienvater saß keineswegs unschuldig im Gefängnis. Der Triebtäter wiederum weckt dank des differenzierten Spiels von Ulrich Brandhoff sogar Mitgefühl, erst recht, als ihn der durch die Hetze in den digitalen Plattformen aufgestachelte Mob "an die Wand" stellen will.

Neben dem Regieduo Anne Zohra Berrached und Konstantin Bock gebührt die Anerkennung für die ausnahmslos guten darstellerischen Leistungen nicht zuletzt Emrah Ertem. Das Ensemble ist ganz vorzüglich zusammengestellt. Ertems Castingbüro ist ohnehin dafür bekannt, interessante neue Gesichter zu entdecken. Hier gilt das vor allem für Youness Aabbaz und Aysima Ergün als Geschwisterpaar Nader und Yara.

Er hätte das Zeug zum idealen Repräsentanten des Projekts, zumal er nur durch schlechten Umgang auf die schiefe Bahn geraten ist, aber sie ist ein wirklich böses Mädchen, das seine Freiheit prompt für einen Raubzug nutzt. Aysima Ergün verkörpert die unbekümmerte junge Frau zunächst wie eine Figur aus "Fack ju Göhte"; das ändert sich, als Yara aus ihrer selbstgewählten Rolle fällt.

Dagegen erweist sich der Mörder (Richard Sammel) als unbelehrbar. Kein Wunder, dass das Ehepaar Tayfun und Nesrin Gül (Sahin Eryilmaz, Alev Irmak), die Eltern seines 15 Jahre alten Opfers, keine Lust auf ein Mediationstreffen haben. Stattdessen begegnet Nesrin Gül dem Mann zufällig auf der Straße, was womöglich noch schlimmer ist. Sie wird zum Motor des Widerstands gegen Trust.

Zum Handlungsreichtum tragen auch einige prominent besetzte Nebenfiguren bei, darunter Cordula Stratmann als gutgelaunte Justizministerin, der das Lachen vergeht, Aljoscha Stadelmann als Rädelsführer des Volkssturms sowie Karin Hanczewski als TV-Moderatorin, deren Talkshow die Klammer der zum Teil sehr aufwändig gestalteten Serie bildet und für die nötigen Hintergrundinformationen sorgt. Trotz der auch wegen der vielen zentralen Figuren enormen Komplexität wirkt die stellenweise hochemotionale Geschichte nie episodisch.

Umso bedauerlicher, dass das "Erste" nur die ersten beiden Folgen ab 20.15 Uhr zeigt und die Episoden drei bis acht am Freitag ab 22.20 Uhr in die Nacht versendet. Die Serie steht komplett in der ARD-Mediathek.