Göttingen (epd). Menschenrechtler haben vor dem Aufbau einer „Islamischen Republik“ in Syrien gewarnt. Viele Aktionen und Anweisungen der neuen islamistischen Machthaber deuteten darauf hin, dass sie einen nach strengen islamischen Regeln funktionierenden Staat etablieren wollten, sagte der Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido, am Montag in Göttingen. Das werde „dramatische Folgen für Minderheiten und Frauen haben“. Syrien sei ein religiös und ethnisch vielfältiges Land.
Im Gouvernement Tartus an der syrischen Mittelmeerküste sei der ehemalige Dekan der Fakultät für islamisches Scharia-Recht an der Universität Idlib, Anas Ayrout, mit der Verwaltung des Gouvernements beauftragt worden, berichtete Sido, der selbst aus Syrien stammt und sunnitischer Muslim ist. Ayrout habe in den vergangenen Tagen in seinen Predigten von „islamischer Eroberung“ gesprochen.
Angehörige religiöser Minderheiten wie Alawiten, Ismailiten und Christen trauten sich in Tartus nach seinen Informationen nicht mehr auf die Straße, sagte der Nahostreferent. Gerüchte über erste Verwüstungen von Kirchen in ganz Syrien machten die Runde. Er telefoniere jeden Tag mehrfach mit Menschen, die ihm Bericht erstatteten, sagte Sido dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der Konflikt habe auch Auswirkungen auf Angehörige syrischer Minderheiten in Deutschland, warnte der Experte. Zwischen konservativ gesinnten Syrern, die mit den Islamisten in Syrien sympathisierten, sowie syrischen Kurden und Christen komme es zunehmend zu Konflikten. Das werde ihm von den Angehörigen der Minderheiten berichtet, die selbst Angst hätten, sich öffentlich zu äußern, sagte Sido dem epd. Er rief die christlichen Kirchen in Deutschland dazu auf, sich an die Seite der syrischen Christen zu stellen und sie zu beschützen.
Zugleich gingen die ethnischen Säuberungen gegen die kurdische Bevölkerung im Norden Syriens weiter, mahnte Sido. Der Referent warnte vor einem arabisch-kurdischen Krieg.