Göttingen (epd). Die zugespitzte gesellschaftliche Debatte über Antisemitismus spiegelt sich einer neuen Studie auch in der linken Szene wieder und spaltet diese. „Anhand dieser Auseinandersetzung ordnet sich die linke Protestlandschaft derzeit neu“, erklärten am Dienstag die Wissenschaftler Philipp Scharf und Gregor Kreuzer von der am Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen angesiedelten Bundesfachstelle Linke Militanz. Sie sind die Verfasser der am Dienstag vorgestellten Studie „Welcher Antisemitismus? Der Gaza-Krieg in lokalen linken Zusammenhängen am Beispiel Göttingens“.
Seit dem Angriff der radikalislamistischen Hamas und verbündeter Gruppen auf Israel am 7. Oktober 2023 werde in Deutschland intensiv und kontrovers über das Thema Antisemitismus diskutiert, auch über die Reaktion der radikalen Linken, schreiben die Forscher. Vielfach herrsche Verwunderung, aber auch Empörung darüber vor, dass es auch hier zu antisemitischen Äußerungen komme.
Die Auseinandersetzung um den Nahostkonflikt und Antisemitismus habe eine lange Tradition in der radikalen Linken, hieß es. Es habe sich allerdings eine postkoloniale Szene herausgebildet, die eine alternative Definition des Antisemitismus in die Debatte einbringe und antizionistische Äußerungen als legitime Kritik zu etablieren versuche. Dieser Konflikt verlaufe komplexer als bislang vielfach dargestellt.
Nach einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Antisemitismusbegriff und einer methodischen Verortung innerhalb der Bewegungsforschung arbeiten die Wissenschaftler anhand des Fallbeispiels Göttingen heraus, wie sich parallel zu bestehenden linksradikalen Strukturen eine monothematisch fokussierte pro-palästinensische Szene herausbildet. Diese Szene fordere die etablierten linksradikalen Akteure heraus und versuche offensiv, eigene Deutungsangebote in der Debatte zu platzieren.
Die Wissenschaftler analysieren exemplarisch, welche Gruppen aus der linksradikalen Szene sich wie zum Gaza-Krieg positionieren. Die Untersuchung fokussiere dabei auf Göttingen, weil die Stadt als „Hochburg der radikalen Linken“ gelte.
Die innerlinken Auseinandersetzungen haben Scharf und Kreuzer zufolge Einfluss auf die bislang vorhandenen Identitäten und Strukturen. Die aktuelle Debatte deute „auf einen Zielkonflikt dominierender linksradikaler Deutungsangebote hin“. Dieser äußere sich nun in einer organisatorischen Spaltung der Bewegung. Die Studie liefere damit „wichtige Impulse für eine vertiefte Auseinandersetzung und weitere Forschung zu diesem brisanten Thema“.