Die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) engagiert sich seit mehr als 60 Jahren für Erinnerung, Verständigung und Frieden. Jedes Jahr entsendet die ASF rund 140 Freiwillige zu Partnerorganisationen in 11 Ländern in Europa, Israel und den USA. Sie engagieren sich in Ländern und für Menschen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben. Sie begleiten Überlebende der NS-Verfolgung und Menschen mit Behinderungen oder sie arbeiten in Gedenkstätten und Archiven.
Rund 24 Freiwillige engagieren sich jährlich in den USA an der Ostküste und im mittleren Westen. Sie unterstützen Partnerorganisationen der ASF bei der Betreuung von Senioren, Geflüchteten, Wohnungslosen oder Menschen mit Behinderungen. Frederik macht über die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste einen Freiwilligendienst bei Family Promise Philadelphia in Pennsylvania. Dort unterstützt er Familien und Menschen ohne Obdach, hilft bei Transport- und Fahrtdiensten und arbeitet in Notunterkünften mit. Frederik berichtet von seinen Erfahrungen zur US-Wahl im Swing-State:
"Die Wahl habe ich durch verschiedene Faktoren wahrgenommen: die Debatte zwischen Harris und Trump, Wahlwerbung in den Medien oder Werbeplakate. Das Thema pulsierte hier in Philadelphia ungemein. Wenn man mit dem Auto unterwegs war, sah man in der Innenstadt Harris-Plakate. Fuhr man ein bisschen in die ländlicheren Regionen, ist der Meinungsunterschied stark zu erkennen. Die Harris-Plakate wurden von Trump-Plakaten abgelöst.
Man wurde auch auf der Arbeit mit der Wahl konfrontiert. Unsere soziale Einrichtung hat einen "Rock the Vote"-Abend veranstaltet. An diesem Abend wurde im Detail erklärt, warum wählen so wichtig für die Demokratie ist. Alles ist neutral gehalten, es geht nur um den Aspekt über das Wahlrecht und die Bedeutung der Wahlen zu informieren. Alle Formen von politisch subjektiven Äußerungen waren hingegen untersagt.
Viele hier in Philadelphia waren besorgt über einen möglichen Wahlsieg Trumps. Die allgemeine Stimmung ist angespannt und man merkt, dass etwas in der Luft liegt. Ganz offen wird darüber trotzdem nicht geredet, soweit ich das mitbekommen habe. Doch man kann aus der einen oder anderen Bemerkung die ungefähre Grundeinstellung der Personen ablesen, mit denen man spricht. Ganz im Gegensatz zur Wahlwerbung, die in die Extreme ging. Harris wurde als Lügnerin beschimpft, während Trump als Feind der Demokratie dargestellt wird.
Der Wahlkampf hier in den USA ist anders als in Deutschland, und: verstärkt populistisch. Man muss sich zu einer Seite bekennen, etwas dazwischen gibt es kaum noch. Die Fronten zwischen Republikanern und Demokraten haben sich über die Jahre verhärtet und prallen nun aufeinander."
US-Wahl und Arbeit mit Geflüchteten
Emily ist Freiwillige bei der Hebrew Immigrant Aid Society Pennsylvania (HIAS, PA). Sie unterstützt das Büro der HIAS bei der Koordination und Umsetzung von sozialen Angeboten für Geflüchtete und Immigrant:innen:
"Mitte September, als wir ASF-Freiwilligen in den USA angekommen waren und in Philadelphia die Debatte zwischen Harris und Trump stattfand, konnten wir in der Stadt beobachten, wie stark sich die Meinungen unterscheiden. Menschen liefen mit Plakaten umher und versuchten, die jeweils andere Seite von ihrer Meinung zu überzeugen.
In meiner freiwilligen Tätigkeit arbeiten wir für die Rechte von Immigranten und unterstützen sie dabei, hier ein neues Leben zu gestalten. Die Arbeit von HIAS mit Immigranten ist dann am wirkungsvollsten, wenn die US-Regierung Geflüchtete in den USA und auf ihrem Weg in das Land unterstützt anstatt sie in die Illegalität zu drängen. Meine Organisation und meine Klienten hofften also auf einen Wahlsieg für Kamala Harris. Auch mein Freundeskreis in den USA wählte demokratisch. Meine Gastfamilie hatte in ihrem Vorgarten viele Harris-Plakate aufgestellt und beherbergte Bekannte, die für die demokratische Wahlkampagne arbeiten.
Volle Wahl-Rallyes
Bei so einem demokratischen Umfeld fällt es schwer, sich vorzustellen, wie gespalten das Land eigentlich ist. Am Abend vor der Wahl bin ich mit anderen ASF-Freiwilligen zur letzten Harris-Rallye in Philadelphia gegangen. Die Schlange zum Eintritt war mehrere Kilometer lang und die Stimmung war fantastisch.
So viele unterschiedliche Menschen aus Pennsylvania sind in Philadelphia zusammengekommen, um gemeinsam für die Demokratie einzutreten. Dieser Abend hat uns Mut gemacht und uns gezeigt, wie beeindruckend und vielfältig die USA und ihre Menschen sind."
Professoren motivieren Studierende zum Wählen
Pablo studiert Physik an der Grand Valley State University im Swing-State Michigan. Er berichtet von "Freedom of Speech"-Plätzen in der Uni, auf denen viel über die Wahl informiert wurde:
"Die Freedom of Speech-Plätze waren voll mit Menschen, die die Studierenden zum Wählen motiviert haben. Im Gebäude nebenan konntest du dann direkt wählen, sofern du in Michigan registriert warst. Auch die Professoren haben die Studenten motiviert, wählen zu gehen.
Auf dem Platz haben Leute sowohl für Kamala Harris, als auch für Donald Trump Werbung gemacht. Miteinander geredet haben sie dabei aber nicht. Auch bei mir im Schwimm-Team haben wir kaum über die Wahl gesprochen. Wenn überhaupt sprichst du nur mit deinen engsten Freunden darüber. Allerdings hatten wir am Wahltag kein reguläres Training, sodass die amerikanischen Studenten zur Wahl gehen konnten."
Spürbar angespannte Stimmung
Theresa arbeitet als Freiwillige bei Hebrew Senior Life in Boston, Massachusetts. In dem jüdischen Seniorenheim übernimmt sie Besuchsdienste und arbeitet bei Freizeitaktivitäten für die Senior:innen mit. Theresa berichtet:
"Die Stimmung vor der Wahl war spürbar angespannt, was angesichts der Intensität des Wahlkampfs nicht überrascht. In den USA ist der Wahlkampf deutlich extremer als in Deutschland, da mehr davon abhängt. Auch wenn ich in Massachusetts bin, einem Staat, in dem das Ergebnis relativ vorhersehbar ist, war die allgemeine Anspannung dennoch allgegenwärtig.
Meine persönliche Erfahrung mit der Wahl ist geprägt von meinem Engagement im Hebrew Senior Life in Boston. Dort unterstütze ich die Bewohner:innen, was auch beinhaltet, ihnen bei den Wahlprozessen zur Seite zu stehen. Ich habe beim Ausfüllen der Wahlzettel geholfen und habe Fragen zu den Ballot Questions beantwortet, soweit es mir möglich war.
Dabei war es wichtig, dass ich – ebenso wie das gesamte Kollegium – meine persönliche Meinung komplett zurückgehalten habe, um neutral zu bleiben. Diese Neutralität ist manchmal herausfordernd, vor allem in einer politisch so aufgeladenen Zeit.
Die Wahl war allgegenwärtig
Besonders auffällig war für mich die allgegenwärtige Präsenz der Wahl. Im Speisesaal liefen die Fernseher, und die Nachrichten waren fast ausschließlich der Wahl gewidmet. Auch im Kollegium wurde häufig darüber gesprochen, und es war ein ständiges Thema im Alltag.
Als ich kürzlich am Women’s March in Boston teilnahm, wurde deutlich, wie intensiv die Themen dieser Wahl die Menschen beschäftigen. Ich sprach mit mehreren Teilnehmer:innen, die ihre Frustration darüber äußerten, erneut für Rechte wie körperliche Selbstbestimmung demonstrieren zu müssen. Gleichzeitig war die Entschlossenheit der Menschen, für ihre Überzeugungen einzutreten, deutlich zu spüren.
Einige hier haben mich gefragt, ob diese Wahl auch in Deutschland verfolgt wird. Manche waren überrascht, als ich erzählte, dass dort ebenfalls großes Interesse besteht – zumindest in meinem Umfeld. Es zeigt, wie weit die Aufmerksamkeit für politische Ereignisse reicht und wie sehr sie miteinander verknüpft sind. Diese Wahl wird nicht nur in den USA als entscheidend angesehen, sondern hat auch weltweit Auswirkungen.
Der Austausch mit den Bewohner:innen und anderen Menschen hier gibt mir einen guten Einblick in die Stimmung und die Bedeutung dieser Zeit. Auch wenn ich selbst nicht wählen konnte, ist es interessant, die Dynamik und den Verlauf der Wahl aus nächster Nähe mitzuerleben."
evangelisch.de dankt indeon.de für die Kooperation.