Berlin (epd). Zum 75. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, die Errungenschaften von Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Mit Blick auf die deutsche Geschichte sagte er am Donnerstag beim Staatsakt zur Feier des Grundgesetzes in Berlin, wer heute die Demokratie bekämpfe, „muss wissen, dass er es dieses Mal mit einer kämpferischen Demokratie und mit kämpferischen Demokratinnen und Demokraten zu tun hat.“
Steinmeier würdigte das Grundgesetz als ein „Meisterwerk“. Es habe ein Provisorium sein sollen, gehöre aber zum Besten, was Deutschland hervorgebracht habe. Das Grundgesetz wurde am 23. Mai 1949 in Bonn feierlich verkündet. Einen Tag später trat es in Kraft. Es war in wenigen Monaten vom Parlamentarischen Rat erarbeitet und von den westlichen Besatzungsmächten gebilligt worden. Seit 1990 gilt es in ganz Deutschland.
Steinmeier betonte vor den Festgästen und Spitzen der Verfassungsorgane, Deutschland feiere in diesem Jahr ein doppeltes Jubiläum von 75 Jahren Grundgesetz und 35 Jahren Mauerfall. Dem Mut der DDR-Bürgerinnen und -Bürger sei zu verdanken, dass sich das Freiheitsversprechen des Grundgesetzes von 1949 nach 1989 für alle Deutschen habe erfüllen können. Steinmeier ließ zugleich keinen Zweifel daran, dass sich auch Unbehagen in den Stolz auf die deutsche Verfassung mische. Viele Menschen fragten, was von den großen Versprechen des Grundgesetzes bleibe, wenn Hass, Diskriminierung und Angriffe nahezu alltäglich seien.
Eindringlich mahnte der Bundespräsident, in dieser „Zeit der Bewährung“ eine demokratiegefährdende Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung nicht zuzulassen. Politiker und Politikerinnen müssten ihr Handeln erklären und die Fragen der Menschen ernst nehmen. „Es sind keine Extremisten, die sie stellen“, betonte Steinmeier. Niemals aber dürfe sich die Gesellschaft an Gewalt im politischen Meinungskampf gewöhnen. Die Demokratie vertrage Wettbewerb und Streit. Gewalt aber zerstöre sie.
Zuvor hatte der stellvertretende Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Michael Gerber, bei einem ökumenischen Gottesdienst zum Auftakt der Grundgesetz-Feierlichkeiten in der St. Marienkirche an die Anfänge des Grundgesetzes erinnert. Der Neuanfang Deutschlands nach 1945 sei ein „unverdientes Geschenk“ gewesen. „Angesichts des unsagbaren Grauens, das Deutsche unmittelbar zuvor verübt hatten“ sei die Chance eines Neuanfangs „alles andere als selbstverständlich“ gewesen."
Die Verfassung sei nicht denkbar ohne einen kritischen Blick auf die eigene Geschichte, sagte Gerber. Deutschland stehe dabei vor einer besonderen Verantwortung. Bald würden die letzten Stimmen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen des NS-Schreckens für immer verstummen, und zum ersten Mal wachse eine Generation junger Menschen ohne den Kontakt zu diesen Zeitzeugen auf, sagte der Fuldaer Bischof.
Rund 1.000 Polizistinnen und Polizisten sicherten nach Polizeiangaben die Veranstaltungen. Auf den Staatsakt folgt von Freitag an bis Sonntag ein Demokratiefest im Berliner Regierungsviertel. Unter anderem stellen sich Repräsentanten der Verfassungsorgane dem Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern. In Bonn und am Sitz des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe finden ebenfalls Feiern statt.