Rechtsmedizinerin von Fehlgutachten-Vorwurf entlastet

Rechtsmedizinerin von Fehlgutachten-Vorwurf entlastet

Mainz (epd). Überraschendes Urteil zu Gunsten einer renommierten Missbrauchsexpertin: Fast zehn Jahre, nachdem eine vermeintlich falsch erstellte gutachterliche Stellungnahme die Karriere der Mainzer Gerichtsmedizinerin Bianca Navarro beendete, hat der Fall am Mittwoch eine grundlegende Wende erfahren. Das Landgericht Mainz wies eine Klage gegen die Gutachterin zurück, mit der die Haftpflichtversicherung des damals zuständigen Jugendamtes sie für eine Summe von mehr als 100.000 Euro in Regress nehmen wollte, die als Schadenersatz und Schmerzensgeld an die betroffene Familie geflossen waren (AZ: 4 O 307/16). Im Laufe des Verfahrens war ein neues rechtsmedizinisches Gutachten erstellt worden, das Navarros Ergebnisse in der Sache bestätigte und sie vom Vorwurf grober Fahrlässigkeit entlastete.

Das Urteil fiel nach einer nur rund halbstündigen mündlichen Verhandlung. Zuvor hatten sowohl eine andere Kammer des Mainzer Landgerichts als auch 2016 das rheinland-pfälzische Oberlandesgericht in Koblenz der Medizinerin in einem rechtskräftig gewordenen Urteil ein „objektiv falsches“ Gutachten und schwere Versäumnisse vorgeworfen.

Die beiden kleinen Söhne eines Ehepaares aus dem Rhein-Pfalz-Kreis waren 2013 für mehr als sechs Monate in Pflegefamilien untergebracht worden, weil die vom Jugendamt beauftragte Ärztin Verletzungen des älteren Sohns als Folge einer Kindesmisshandlung gedeutet hatte. Die nach einem Verkehrsunfall im Krankenhaus festgestellte Schädigung an seinem Gehirn sei „höchstwahrscheinlich“ durch Schütteltraumata verursacht worden, hatte die Gutachterin erklärt. Nach Monaten konnten die Eltern die Vorwürfe zunächst entkräften und Untersuchungsergebnisse vorlegen, denen zufolge die Erbkrankheit Hydrocephalus Ursache für die Probleme gewesen sei.

Eine Schmerzensgeldklage der Eltern gegen Navarro wurde damals dennoch abgewiesen, da nicht sie persönlich, sondern der Staat für den vermeintlichen Fehler hafte. In der Folge kam es zu einer außergerichtlich ausgehandelten Entschädigungszahlung. Im Zuge des Regressverfahrens ordneten die Mainzer Richter ein weiteres Gutachten an.

Navarro, die bis zu dem Fall als eine der bundesweit führenden Experten für Kindesmisshandlung und Missbrauch galt, hatte im Zuge des langwierigen Rechtsstreits ihre Arbeit bei der Mainzer Universitätsmedizin verloren, im Anschluss kaum noch Gutachter-Aufträge bekommen und Morddrohungen erhalten. Die klare Entscheidung des Gerichts am Mittwoch kommentierte sie sichtlich gerührt. Sie sei „unglaublich erleichtert“, aber ihre berufliche Rehabilitierung habe gerade erst begonnen.