Essen, Paderborn (epd). Gegen den verstorbenen Essener Bischof, Kardinal Franz Hengsbach, sind nach Angaben eines Sprechers „gravierende“ Missbrauchsvorwürfe erhoben worden. Zwei Vorwürfe betreffen Hengsbachs Zeit als Ruhrbischof und ein Vorwurf seine Zeit als Weihbischof im Erzbistum Paderborn, wie das Bistum Essen am Dienstag mitteilte. Die Vorwürfe beziehen sich auf die 1950er und 1960er Jahre. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck erklärte, er habe veranlasst, die Vorwürfe gegen den Gründerbischof zu veröffentlichen. Zudem rief er mögliche weitere Betroffene auf, sich zu melden. Damit werden erstmals Missbrauchsvorwürfe gegen einen deutschen Kardinal öffentlich.
Der 1910 im sauerländischen Velmede geborene Hengsbach war seit Gründung des Ruhrbistums 1958 bis zu seinem Todesjahr 1991 der erste Bischof von Essen. Zuvor hatte er das Erzbischöfliche Seelsorgeamt in Paderborn geleitet und war dort Weihbischof.
Die aktuellen Nachforschungen zu Hengsbach wurden den Angaben zufolge durch eine Person ausgelöst, die sich im vergangenen Oktober bei den Ansprechpersonen des Bistums Essen gemeldet und zu Protokoll gegeben haben soll, im Jahr 1967 einen sexuellen Übergriff durch Franz Hengsbach erlitten zu haben. Ein weiterer Vorwurf gegen den Kardinal aus dem Jahr 2011 wurde den Angaben zufolge 2014 wieder zurückgezogen.
Bei einer anschließenden Recherche in den Akten des Erzbistums Paderborn seien die Mitglieder des Essener Interventionsstabs überdies auf einen Aktenvermerk gestoßen, in dem Hengsbach beschuldigt werde, im Jahr 1954 eine Jugendliche sexuell missbraucht zu haben. Die Vorwürfe wurden nach Mitteilung des Erzbistums Paderborn 2011 von einer Frau gegenüber dem damaligen Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums Paderborn erhoben. Hengsbach soll sie demnach als damals 16-Jährige missbraucht haben.
Hengsbachs Bruder Paul, der ebenfalls als Priester im Erzbistum tätig war, warf die Frau Missbrauch in zwei Fällen vor. Der zum Zeitpunkt der Meldung noch lebende Paul Hengsbach bestritt die Vorwürfe „vehement“, wie das Erzbistum erklärte. Aufgrund der Gesamtumstände bewertete die Leitung des Erzbistums die Vorwürfe der Frau „als nicht plausibel“.
Zur weiteren Prüfung und Bewertung wurde der Fall an die Kongregation für die Glaubenslehre in Rom übergeben. Diese entschied, angesichts des zur mutmaßlichen Tatzeit geltenden Strafrechts kein Strafverfahren einzuleiten, wie das Erzbistum erklärte.
Ruhrbischof Overbeck betonte, ihm sei klar, was die Entscheidung zu Veröffentlichung der Vorwürfe gegen den Gründerbischof des Ruhrbistums „bei vielen Menschen auslösen wird“. Franz Hengsbach habe eine große Bedeutung für viele Kirchenmitglieder im Bistum Essen und für die Region. „Ich hoffe, dass es uns bei allen Schritten, die jetzt anstehen, vor allem gelingen wird, stets die Perspektive der Betroffenen in den Vordergrund zu stellen“, erklärte Overbeck.