Hannover, Wunstorf (epd). Ein 15-jähriger Jugendlicher aus Wunstorf bei Hannover ist zu zehn Jahren Jugendstrafe wegen Mordes an einem Mitschüler verurteilt worden. Das Landgericht Hannover verhängte am Montag die höchstmögliche Strafe gegen ihn wegen Mordes in Tatmehrheit mit versuchter räuberischer Erpressung in zwölf Fällen, wie ein Gerichtssprecher mitteilte. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei vorbehalten worden.
Der Verurteilte müsse seine Strafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung verbüßen, hieß es weiter. Weil er noch minderjährig ist, fand das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. (AZ: 31 KLs 8/23)
Täter und Opfer besuchten die Evangelische Integrierte Gesamtschule (IGS) in Wunstorf, gehörten aber unterschiedlichen Schulklassen an. Der Leichnam des getöteten Mitschülers war Ende Januar nach einer großangelegten Suche auf dem Brachgelände einer alten Gärtnerei am Rande eines Dorfes bei Wunstorf gefunden worden. Der Junge war am Abend zuvor nicht von einer Verabredung mit dem Schulkameraden zurückgekehrt und als vermisst gemeldet worden.
Der Nebenklagevertreter und Anwalt der Familie des Getöteten, Steffen Hörning, sagte dem epd, es sei für alle Prozessbeteiligten wichtig, dass nun Ruhe einkehre. Seine Mandanten seien erleichtert über den Schuldspruch. „Allerdings ist die Frage nach dem 'Warum' aus unserer Sicht noch nicht ausreichend geklärt.“ Da die Staatsanwaltschaft aktuell zu einem möglichen Komplizen ermittele, den der 15-Jährige während des Prozesses erwähnt hatte, wolle er auch dieses Verfahren für die Opferfamilie begleiten.
Dogukan Isik, der Anwalt des Angeklagten, sagte im Anschluss an die Urteilsverkündung vor Medienvertretern, der Jugendliche wolle die Chancen der Therapie im Strafvollzug nutzen. So könne er sich später vielleicht wieder in die Gesellschaft integrieren.
Die Staatsanwaltschaft hatte dem zum Tatzeitpunkt 14-jährigen Jugendlichen vorgeworfen, den Mitschüler gefesselt und mit Steinen erschlagen zu haben. Zudem habe er vor der Tat Erpresserbriefe in die Briefkästen von Nachbarn geworfen und die Empfänger dazu aufgefordert, Geld zu deponieren. Dabei habe er gedroht, die Häuser der Empfänger zu sprengen oder ihnen und ihren Kindern etwas anzutun, wenn sie der Forderung nicht nachkämen.
Theresia Höynck, Professorin für Kinder- und Jugendrecht an der Universität Kassel und im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, bewertete das Urteil als „extrem hart“. Zehn Jahre bildeten das Höchstmaß im Jugendstrafrecht, der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung sei noch seltener, sagte Höynck dem epd. Sie machte deutlich, dass gezielte Tötungsdelikte bei Jugendlichen kaum vorkommen. „Jugendliche machen Mist, auch schlimmen Mist, aber so etwas gibt es kaum.“
Die hannoversche Landeskirche sagte als Schulträgerin den Mitschülerinnen und Mitschülern von Opfer und Täter weitere Begleitung durch die Schule und externe Fachleute zu. Das Urteil sei „ein nächster wichtiger Schritt, um mit der furchtbaren Tat und damit mit dem Tod des Schülers und Mitschülers umzugehen“, sagte die Schuldezernentin, Kerstin Gäfgen-Track. Das schulische Leben in der IGS laufe in vielen Bereichen inzwischen so normal wie möglich. Die Tat habe dennoch die Schulgemeinschaft für immer verändert. „Das Gedenken an den verstorbenen Mitschüler und das Wissen, dass die Tat von einem Schüler der Schule begangen worden ist, werden im Bewusstsein bleiben.“
Bei einer Trauerfeier hatten im Februar Hunderte von Trauergästen von dem getöteten Jugendlichen Abschied genommen. Der katholische Pfarrer Andreas Körner sagte in der Ansprache über den Verstorbenen, der zu den Pfadfindern und den Messdienern gehörte: „Er erkannte in keinem Menschen etwas Böses. Seine Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit werden uns in Erinnerung bleiben.“