Berlin (epd). Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) ist trotz der Auseinandersetzung mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) um die Kosten der Kindergrundsicherung zuversichtlich, dass ihr Entwurf bald vom Kabinett beschlossen wird. Sie sagte am Freitag in Berlin, ihr Gesetzentwurf liege nun vor, mit verschiedenen Berechnungsvarianten. Er werde demnächst in die Ressortabstimmung mit den anderen Ministerien gehen. An der Erarbeitung seien sieben Ministerien beteiligt gewesen, auch das Finanzministerium, betonte Paus. Sie kündigte abermals an, dass es Leistungsverbesserungen für bedürftige Familien geben werde.
Die Grünen-Politikerin sieht sich im Streit mit Lindner durch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Diakonie bestätigt, wonach Sozialleistungen sich für Wirtschaft und Gesellschaft langfristig rechnen. Die geplante Kindergrundsicherung „ist eine Investition in die Zukunft unserer Kinder und in unseren Wohlstand“, sagte Paus. „Darum sollten wir Wachstumsimpulse mit guten Rahmenbedingungen für Familien verbinden.“ Die DIW-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die dauerhaften Folgekosten von Kinderarmut um ein Vielfaches höher sind als eine existenzsichernde Kindergrundsicherung.
Paus und Lindner verhandeln seit Monaten um die Summe, die im Haushalt für die Kindergrundsicherung zur Verfügung gestellt werden soll. Zuletzt brach der Streit anlässlich eines Steuersenkungsprogramms für die Wirtschaft erneut offen aus. Paus hat ihre Forderung von anfangs zwölf auf bis zu sieben Milliarden Euro reduziert. Lindner will die Ausgaben bei zwei Milliarden Euro deckeln. Höhere staatliche Leistungen für Familien verbesserten nicht zwingend die Lebenschancen der Kinder, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Freitag). Jede zusätzliche Ausgabe müsse außerdem im Haushalt gegenfinanziert werden, sagte Lindner.
In der Kindergrundsicherung sollen Familienleistungen zusammengefasst, vereinfacht und automatisch ausgezahlt werden. Sie ist das wichtigste sozialpolitische Vorhaben der Ampel. Grüne und SPD wollen die Zahlungen an arme Familien erhöhen, während die FDP allein durch Verwaltungsvereinfachungen mehr Familien mit bereits existierenden Leistungen erreichen will.
In der DIW-Studie werden drei Szenarien für die Kindergrundsicherung durchgerechnet. Mit der stärksten angenommenen Erhöhung des Satzes für armutsgefährdete Kinder um 100 Euro im Monat plus der geplanten Verwaltungsvereinfachung würden sich die künftigen Ausgaben auf rund 5,5 Milliarden Euro im Jahr belaufen. Mit dieser Summe würde der Staat zielgenau die Einkommensarmut bei Alleinerziehenden und Paaren mit drei und mehr Kindern senken, wo die Armutsquoten am höchsten sind.
Den Angaben zufolge ist zwischen 2010 und 2021 der Anteil armutsgefährdeter Kinder von rund 18 Prozent auf knapp 21 Prozent gestiegen und laut dem Statistischem Bundesamt in diesem Jahr auf rund 24 Prozent der Minderjährigen. Rund zwei Millionen Kinder beziehen Bürgergeld. Als armutsgefährdet gilt ein Haushalt, dessen Einkommen niedriger ist als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte. Paus sagte, mit der Kindergrundsicherung wolle sie rund 5,5 Millionen Kinder erreichen.
Die Präsidentin des Deutschen Kinderschutzbunds, Sabine Andresen, nannte den Streit über die Einführung einer Kindergrundsicherung „aus der Perspektive von Familien mit Kindern unwürdig und beschämend“. Sie sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Freitag), es gehe um einen Paradigmenwechsel bei der Armutsbekämpfung. „Warum positioniert sich eine sozialdemokratische Partei da nicht eindeutiger?“, sagte Andresen.
Der Paritätische Gesamtverband forderte, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) solle ein Machtwort sprechen. Die Studie zeige, dass die Bekämpfung von Kinderarmut mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Folgekosten auch ökonomisch vernünftig sei.