Bielefeld (epd). Die Gefahr fremdenfeindlicher Anschläge in Deutschland ist nach Einschätzung des Konfliktforschers Andreas Zick größer geworden. Durch die aktuelle Asyldebatte und eine Rückkehr nationalistischer Orientierungen hätten rechtsextreme Kreise Aufwind erhalten, sagte Zick dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit Blick auf den 30. Jahrestag des rassistischen Brandanschlags von Solingen. Die Zahl rechtsextremer Straftaten sei seit dem Anschlag gestiegen, im Rechtsextremismus seien mehr Menschen organisiert.
Nach wie vor gebe es eine stabile rechtsextreme Kultur, die nun viele junge Menschen insbesondere im Osten abhole und eine eigene Jugendkultur und Sozialisation bilde, warnte der Wissenschaftler. Auch die Mehrheit der Bevölkerung sei der Meinung, dass der Rechtsextremismus eine Bedrohung für Deutschland sei. Das habe die letzte Mitte-Studie seines Instituts aus dem Jahr 2020/21 gezeigt.
Die Rechtsextremen hätten eine Normalisierungsstrategie entwickelt, mit der sie sich erfolgreich als Freiheits- und Widerstandskämpfer für Deutsche darstellten, erläuterte Zick. Die Legitimierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der nationalen Vormachtstellung sei in weiten Teilen der Gesellschaft attraktiv geworden.
Der rechtsextreme Anschlag von Solingen habe sich in eine Attentatsserie eingereiht, die einer Radikalisierung in eine Pogromstimmung in der rechtsextremen Szene gefolgt sei, erklärte der Extremismusforscher. Vorausgegangen seien die menschenfeindlichen Ausschreitungen in Hoyerswerda. Nach Solingen habe es weitere Anschläge sowie Hetzjagden und die Bildung von Terrorzellen gegeben.
Am 29. Mai 1993 hatten vier junge Neonazis aus Ausländerhass das Haus der türkeistämmigen Familie Genç in Solingen angezündet. Zwei Frauen und drei Mädchen kamen ums Leben. Die Tat rief weltweit Entsetzen hervor. Die im vergangenen Jahr gestorbene Mevlüde Genç, die 1993 zwei Töchter, eine Nichte und zwei Enkelinnen verlor, habe damals viel Courage trotz der verständlichen Wut von vielen Menschen mit Einwanderungsgeschichte bewiesen, würdigte sie Zick.
In Deutschland werde Rechtsextremismus als Abweichung und nicht als Teil der gemeinsamen gesellschaftlichen Realität betrachtet, kritisierte der Wissenschaftler. Als Prävention seien eine Stärkung von Zivilcourage, die Ausweitung von Angeboten zur Deradikalisierung, historische Bildung sowie eine Stärkung von Erinnerungskultur wichtig.