Frankfurt a.M., Bonn (epd). Die Nationalversammlung von 1848/49 in der Frankfurter Paulskirche hat nach Ansicht des Historikers Harald Biermann langfristig die deutsche Verfassungsgeschichte maßgeblich geprägt. Der vor 175 Jahren in der Paulskirche erarbeitete Verfassungsentwurf sei zwar 1849 gescheitert, sagte der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch sowohl die Weimarer Reichsverfassung nach dem Ersten Weltkrieg als auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland stünden in der Tradition der Paulskirche.
Der Neuzeit-Experte, der sich seit seiner Habilitation schwerpunktmäßig mit dem politischen Liberalismus befasst, nannte vor allem zwei Punkte, in denen die Nationalversammlung und die in der Frankfurter Paulskirche erarbeitete Verfassung prägend gewirkt hätten: Zum einen seien in der Konstitution von 1849 die Grundrechte niedergeschrieben worden, „an die dann alle späteren demokratischen Verfassungen in Deutschland angeknüpft haben“. Zum anderen habe die in der Paulskirche tagende Nationalversammlung parlamentarische Grundregeln eingeübt, die alle nachfolgenden Parlamente geprägt hätten. Das ist nach Biermanns Worten „in seiner langfristigen Wirkung fast noch wichtiger“.
Den in der Paulskirche tagenden Abgeordneten sei es um Freiheitsrechte gegangen, erläuterte der Historiker. Eines der zentralen Anliegen sei die Pressefreiheit gewesen. Als zweites Beispiel nannte Biermann die Vereinsfreiheit, also dass zumindest alle Männer in Deutschland damals das Recht erhalten sollten, Vereine zu gründen.
Selbst das heute noch geltende Prinzip der Bannmeile, das Demonstrationen im direkten Umfeld von Parlamenten verbietet, sei im Herbst 1848 rund um die Paulskirche und damit erstmals in Deutschland angewandt worden. Wegen eines außenpolitischen Streits sei es in Frankfurt im September 1848 zu schweren Unruhen mit mehreren Toten, darunter auch zwei Abgeordnete der Paulskirche, gekommen. „Diese September-Unruhen sind ein großer Knackpunkt und auch ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt im Scheitern der Revolution“, sagte Biermann.
In der Frankfurter Paulskirche kamen am 18. Mai 1848 erstmals Abgeordnete aus allen Gebieten des Deutschen Bundes zusammen, um über eine freiheitliche Verfassung und die Bildung eines Nationalstaates zu beraten. Bis 1849 erarbeitete die Nationalversammlung einen Verfassungsentwurf, der vorsah, den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zum deutschen Kaiser zu machen. Der Preußenherrscher lehnte jedoch ab, weil er seine Herrschaft als von Gott gegeben betrachtete. Der erste Versuch, einen demokratischen deutschen Nationalstaat zu schaffen, wurde bis Juli 1849 mit militärischer Gewalt endgültig niedergeschlagen, das Paulskirchenparlament löste sich im Mai 1849 auf.