Forscher: Arbeitnehmer haben größere Marktmacht

Forscher: Arbeitnehmer haben größere Marktmacht
27.04.2023
epd
epd-Gespräch: Susanne Rochholz

Nürnberg (epd). Der Arbeitsmarktforscher Ulrich Walwei sieht Arbeiter und Angestellte in einer Position zunehmender Stärke. „Wir haben jetzt eine Situation, in der sich die Marktmacht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verbessert“, sagte der Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Das gelte allerdings nicht zwangsläufig „für Personen, die in irgendeiner Weise schwierige Biografien haben“. Menschen mit unsicheren oder gering entlohnten Jobs bräuchten weiterhin besondere Aufmerksamkeit und arbeitsmarktpolitische Förderung, sagte Walwei. „Leider gibt es für Deutschland viele Befunde, die zeigen, dass es Schwierigkeiten gibt, Menschen da herauszuführen“, unterstrich der Nürnberger Arbeitsmarktforscher.

Oft gehe Niedriglohnbeschäftigung einher mit körperlich belastenden Arbeitsbedingungen. Walwei verwies auf eine Untersuchung von 2018, nach der rund zehn Prozent der Erwerbstätigen in schlecht bezahlten und unsicheren Jobs arbeiten. Gleichwohl könne es für Menschen mit schwierigen Biografien „ein Erfolg sein, wenn sie in eine auch nur prekäre Beschäftigung kommen“. Auch daraus könne „ein Aufstieg gelingen“.

Zu den umstrittenen Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung zu Beginn der 2000er Jahre sagte der IAB-Vizedirektor, sie hätten „mit dazu beigetragen, dass der Arbeitsmarkt sich erholt hat“. Die damaligen Hartz-Reformen seien insoweit ambivalent, als sie neben „mehr Möglichkeiten am Arbeitsmarkt“ auch „teilweise mehr Druck“ geschaffen hätten.

Walwei sprach sich dafür aus, die damals geschaffenen Möglichkeiten beizubehalten: „Die ganzen Reformen abzuschaffen, würde alles sehr, sehr stark wieder einschränken“, sagte er. Arbeitsmarktpolitische Instrumente sollten „genutzt werden für Aufwärtsmobilität, um den Menschen Perspektiven zu bieten“.

Die Einschätzung, dass die rot-grünen Arbeitsmarktreformen vor allem für einen Niedriglohnsektor gesorgt hätten, kritisierte Walwei als „sehr stark vereinfacht“. Die Entwicklung zu niedrig entlohnten Jobs habe bereits „deutlich vor den Arbeitsmarktreformen eingesetzt“: Schon Mitte der 1990er Jahre sei die Lohnungleichheit in Deutschland größer geworden. Seit dem Ende der 2000er Jahre habe sich die ungleiche Entlohnung „eher etwas verringert“.