Berlin (epd). Die DAK-Gesundheit hat am Mittwoch in Berlin eine Studie vorgestellt über ihre Beteiligung an den Kinderkuren in der Bundesrepublik. Der Vorstandsvorsitzende der Krankenkasse, Andreas Storm, bat die Betroffenen, die als Kinder in einer Kur Gewalt erlebt haben, im Namen der DAK und persönlich um Verzeihung. In den Kinderkurheimen waren - ähnlich wie in Waisen-, Kinder- und Behindertenheimen - viele Kinder teils systematischen Misshandlungen ausgesetzt.
Den Angaben zufolge haben sich bei der DAK bisher 100 ehemalige Verschickungskinder gemeldet. Bundesweit waren von den 1950er bis in die 1990er Jahre rund zehn Millionen Kinder in Kuren geschickt worden, etwa 450.000 waren bei der DAK versichert. Die Krankenkassen bezahlten die Aufenthalte in den Kinderkurheimen, die vor allem an der Nord- und Ostsee, auf den Inseln sowie im Harz und Schwarzwald lagen. Die DAK betrieb selbst drei Kinderkurheime und arbeitete mit 65 Vertragsheimen zusammen.
Nach eigenen Angaben hat sich die DAK als erste Krankenkasse der Aufarbeitung der Missstände gewidmet. Der von der Kasse beauftragte Bielefelder Historiker Hans-Walter Schmuhl kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Misshandlungen „eindeutig nicht um Einzelfälle handelte“, sondern in den Kinderkurheimen „eine Subkultur der Gewalt“ ihren Nährboden fand.
Kurkinder wurden gedemütigt, ans Bett gefesselt, mussten ihre Teller leer essen oder bekamen sogar Erbrochenes eingetrichtert. Sie wurden geschlagen, eingesperrt und auch Opfer massiver sexueller Gewalt. Während der Kur waren sie von der Außenwelt abgeschottet, der Tagesablauf war streng reglementiert. Die Kinder hatten während der sechswöchigen Kur keinen Kontakt zu den Eltern. Das alles wurde als Voraussetzung für einen Kurerfolg gerechtfertigt. Einige der dokumentierten Gewaltformen verstießen auch damals gegen geltendes Recht. Schmuhl zufolge waren aber viele Züchtigungsformen rechtens und hätten, auch wenn sie bekannt geworden wären, keinen Anstoß erregt.
Schmuhl recherchierte unter anderem im Zentralarchiv der DAK. Da keine Fallakten mehr existieren, beruhen seine Ergebnisse außerdem auf ausführlichen Interviews mit früheren Kurkindern, die sich inzwischen unter anderem in der Initiative Verschickungskinder organisiert haben. Der Höhepunkt des Kinderkurwesens war Mitte der 1970er Jahre erreicht. Seit 1993 gibt es keine reinen Kindererholungskuren mehr. An der Organisation der Kinderkuren waren den Angaben zufolge neben Kommunen, Jugendämtern und Krankenkassen auch Arbeiterwohlfahrt, Diakonie und Caritas beteiligt.
Das Schicksal der Verschickungskinder wird erst seit einigen Jahren erforscht. Vorstand und Verwaltungsrat der DAK hatten sich im November 2020 zu ihrer Verantwortung bekannt und beschlossen, die Vorgänge historisch untersuchen zu lassen.