Bedrohte Religionsfreiheit - Nicht jeder darf glauben, was er will

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Das international gültige Menschenrecht auf Religionsfreiheit kann nicht überall auf der Welt wirksam durchgesetzt werden.
Bedrohte Religionsfreiheit - Nicht jeder darf glauben, was er will
Der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Religionsfreiheit Heiner Bielefeldt über die Verletzung des Menschenrechtes
"Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit." So steht es im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966. Doch das Menschenrecht wird nicht überall auf der Welt wirksam durchgesetzt, beklagt der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit Heiner Bielefeldt.

Kaum ein Menschenrecht sei bei den Vereinten Nationen so umkämpft wie die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, sagt Heiner Bielefeldt, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit August 2010 ist Bielefeldt zusätzlich UN-Sonderberichterstatter zum Thema Religionsfreiheit. Dort versucht er Menschenrechtsverletzungen etwa durch Interventionen bei den jeweiligen Regierungen zu beenden oder zumindest abzumildern. Auf Einladung des Deutschen Instituts für Menschenrechte, das Bielefeldt selbst von 2003 bis 2009 leitete, sprach er jetzt in Berlin über die Schwierigkeit, das international gültige Menschenrecht auf Religionsfreiheit wirksam durchzusetzen.

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Denn die Debatten um Religionsfreiheit würden bei der UN zum Teil sehr emotional-ideologisch geführt. Oftmals gehe es um politische Einflussnahme herrschender Machteliten, die ihre Religion zur Norm erklären wollen. Doch darüber könne gar kein Zweifel bestehen, dass die Religionsfreiheit allein ein Individualrecht und nicht ein abstraktes Recht einer Glaubensgemeinschaft sei. Die Religionsfreiheit gelte nicht, weil ein Mensch etwa Mitglied eines Vereins oder einer Kirche wäre, sondern allein auf Grund der Würde seines bloßen Menschseins.

Theistische, nicht-theistische und atheistische Überzeugungen sind geschützt.

Die allgemeine Religionsfreiheit wird im Artikel 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966 präzisiert:

(1) Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Beachtung religiöser Bräuche, Ausübung und Unterricht zu bekunden.
(2) Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde.
(3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.
(4) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen.

Die Religionsfreiheit habe damit ein breites Anwendungsfeld. Theistische, nicht-theistische wie auch atheistische Überzeugungen seien gleichermaßen geschützt. Im "forum internum", dem inneren Bereich der Religion, habe der Staat nichts zu suchen. Aber es könne dadurch keine schrankenlose Freiheit geben, etwa im Namen der Religion zum Krieg aufzurufen oder aus religiösen Gründen Menschen zu töten. Andererseits dürfe der Religionsbegriff nicht inflationär verwendet werden. So bekennen sich nach dem letzten nationalen Zensus von 2011 rund 15.000 Tschechen zur "Star-Wars"-Religion.

"Hier ist eine Grenze erreicht, bei der Religionsfreiheit in Trivialitäten abzurutschen droht", meint Heiner Bielefeldt. Der Menschenrechtsexperte orientiert sich bei der Definition von Religion an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. Februar 1982. Danach müssen schützenswerte Religionen "einen gewissen Stand an Überzeugungen, Ernsthaftigkeit, Zusammenhalt und Wichtigkeit" aufweisen. Es gehe also um Grundüberzeugungen, die die Weltsicht eines Menschen grundsätzlich prägen und sich als lebenspraktisch niederschlagen.

Es gibt nicht die eine Opfer- und die eine Täter-Religion

Die Verletzungen der Religionsfreiheit sind vielfältig. Bielefeldt kann kaum aufhören sie alle aufzuzählen. Die drastischeren Fälle mit Folter oder sogar Todesfolge wie etwa im Iran, in Saudi-Arabien, Nord-Korea oder China schaffen es in die hiesige Tagespresse. Doch die Missachtung des Glaubens werde oftmals auch subtil und international kaum beachtet betrieben.

So müssen sich im römisch-katholisch geprägtem Paraguay Mitglieder kleinerer vor allem evangelischer Kirchen Jahr für Jahr registrieren lassen. In Zypern werden die Beichten für Fünftklässler während der Unterrichtszeit in der staatlichen Schule abgenommen. Das sei aus Sicht der Religionsfreiheit nicht hinzunehmen, meint Heiner Bielefeldt. In Transnistrien etwa können Evangelische ihre Toten tagsüber nicht bestatten, da der im Grunde allen zugängliche kommunale Friedhof allein von der orthodoxen Mehrheit beansprucht wird. Die Protestanten müssen ihre Verstorbenen heimlich in der Nacht beisetzen. Während der letzten großen sintflutgleichen Überschwemmung in Pakistan wurde Angehörigen nicht-muslimischer Minderheiten der Zugang zu den Schutzräumen verweigert. "Andersgläubige wurden quasi wieder ins Wasser geschickt, um zu ersaufen", schildert Bielefeldt.

Dabei könne man weltweit nicht von Täter- oder Opferreligionen sprechen, als seien Christen immer die Opfer und Muslime immer die Täter. "Sie finden alle Konstellationen, allerdings nicht alle im gleichen Maße. Die ägyptischen Kopten etwa sind Opfer systematischer staatlicher Diskriminierung. Aber die Kopten selber dulden keine anderen Christen neben sich. Der jüngst verstorbene Papst Schenuda hat gegenüber Mubarak immer wieder darauf hingewiesen, dass etwa die Zeugen Jehovas keine Christen und damit nicht schutzwürdig seien", berichtet der Menschenrechtsexperte.

Oft gehe es um die Markierung nationaler Identität. Nicht nur die monotheistischen Religionen seien dafür anfällig. Auch der Buddhismus in Myanmar unterstütze etwa die Zerstörung von Moscheen. Der fanatische Hindu-Nationalismus wiederum erklärt Muslime zu Blutsfeinden.

"Es kann kein Recht geben, nicht beleidigt zu werden"

China sei ohne ideologische Identität hin- und hergerissen zwischen nominellem Kommunismus und realem Raubtierkapitalismus, ein Riese auf tönernen Füßen. Jede freie Religion, ob nun Falun Gong oder die christlichen Hauskirchen, werde zerschlagen. Es herrsche in China ein totaler Kontrollfetischismus.

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Natürlich bejahe fast jeder Staat die Religionsfreiheit. Oft stecke dahinter aber nur eine Rhetorik ohne klare Menschenrechtspolitik. Schwierig sei es vor allem, wenn es allein um die eigene Klientel gehe. Das finde sich in vielen UN-Dokumenten. So wurden auf Betreiben der derzeit 57 Staaten umfassenden "Organisation für Islamische Zusammenarbeit" mehrere Resolutionen verabschiedet, die sich gegen Islamophobie wenden. "Aber ich habe noch nie erlebt, dass sich diese Staaten auch mal gegen eine allgemeine Baha'i-Phobie oder Zeugen-Jehova-Phobie einsetzen, obwohl diese kleinen Religionen nachweislich in vielen gerade auch muslimisch geprägten Ländern unterdrückt werden", sagt Bielefeldt.

Auch könne es keinen Menschenrechts-Schutz religiöser Gefühle geben, wenn dadurch das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit eingeschränkt werde. "Karikaturen müssen erlaubt sein! Es kann kein Recht geben, nicht beleidigt zu werden", sagt Bielefeldt. Auf dem internationalen Parkett könne man immer häufiger beobachten, dass die Religionsfreiheit wie eine Art Anti-Menschenrecht missbraucht werde. So sahen sich manche Teilnehmenden auf der OSZE-Konferenz 2010 durch die öffentliche Präsenz von Lesben und Schwulen in ihrer Religionsfreiheit verletzt. Auch im us-amerikanischem Wahlkampf wird eine Freiheit von Homosexualität gefordert. "Das ist natürlich falsch, es kann kein Recht der Hegemonie konservativer Religionsvertreter geben. Das ist ein übler Etikettenschwindel", warnt Bielefeldt.