Frankfurt a.M. (epd). Viele Überlebende des Einsturzes des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch leben zehn Jahre nach dem Unglück unter katastrophalen Bedingungen. „Die meisten haben eine Entschädigung erhalten, aber die hat nicht gereicht“, sagte die Expertin für Menschenrechte in der Bekleidungsindustrie, Gisela Burckhardt, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zwar sei nach zwei Jahren Kampf Geld für entgangenen Lohn und medizinische Kosten nach dem Unglück gezahlt worden. „Heute leben die Arbeiterinnen aber am Existenzminimum“, betonte die Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation Femnet, die zuletzt im Februar in Bangladesch mit Überlebenden sprach.
Bei dem Einsturz der Bekleidungsfabrik Rana Plaza in der Nähe der Hauptstadt Dhaka am 24. April 2013 wurden mehr als 1.100 Arbeiterinnen und Arbeiter getötet und mehr als 1.800 Menschen verletzt.
Sie habe eine Frau getroffen, die versuche, mit dem Verkauf von Tabakblättern am Straßenrand zu überleben. „Viele können aber gar nicht mehr arbeiten, weil sie Hände oder Beine nicht bewegen können oder sie ihnen ganz fehlen, sie psychische Probleme haben oder Rückenschmerzen. Aber Medikamente brauchen sie trotzdem“, sagte sie. Die Regeln der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), nach denen die Entschädigungen gezahlt worden seien, rechneten damit, dass eine Sozialversicherung Überlebenden solcher Unfälle ein Einkommen garantiere, erläuterte Burckhardt. „Aber die gibt es in Bangladesch nicht.“
Zwar habe der Einsturz von Rana Plaza zu einigem Umdenken in der Bekleidungsbranche geführt. So sei das Abkommen für Gebäudesicherheit Bangladesh Accord verabschiedet worden, dem sich 1.600 der insgesamt 4.000 Textilfabriken im Land angeschlossen hätten. „Die Arbeitsbedingungen haben sich seither aber nicht verbessert, auch nicht die massive geschlechtsspezifische Gewalt“, sagte Burckhardt. Eher im Gegenteil.
Bangladesch ist nach China der zweitgrößte Exporteur von Bekleidung, Textilien machen 82 Prozent aller Ausfuhren aus. Zugleich sind die Lohnkosten geringer als in China. Deutschland ist mit 16 Prozent nach den USA der zweitgrößte Abnehmer.
Die Corona-Pandemie führte Burckhardt zufolge zur Schließung vieler Fabriken. „Inzwischen ist die Produktion sogar höher als vor der Pandemie“ - ebenso wie die täglichen Ziele der Näherinnen. „Es sind einfach weniger Beschäftigte eingestellt worden.“ Gleichzeitig sei der Mindestlohn seit fünf Jahren nicht erhöht worden und betrage umgerechnet etwas über 70 Euro im Monat. „Damit kann kein Mensch überleben.“ Deshalb machten die Frauen viele Überstunden, arbeiteten meist zwischen 10 und 14 Stunden täglich. Zugleich seien viele hoch verschuldet, mit bis zu sieben Mindestlöhnen.
Aber die bangladeschische Regierung tue nichts, kritisierte Burckhardt. „Etwa 30 Prozent der Abgeordneten im Parlament sind Fabrikbesitzer.“ Zwar zahlten viele Fabriken inzwischen mehr als den Mindestlohn. „Aber auch das ist nicht existenzsichernd.“