Freiburg (epd). Betroffene wurden nicht gehört, die Institution geschützt: Der am Dienstag veröffentlichte Missbrauchsbericht des Erzbistums Freiburg erhebt schwere Vorwürfe gegen den früheren Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch und seinen verstorbenen Vorgänger Oskar Saier. Ihnen wird „massive Vertuschung“ und „Ignoranz geltenden Kirchenrechts“ vorgeworfen, sagte der Vorsitzende der Kommission, Magnus Striet, zu dem rund 600-seitigen Bericht.
Besonders erschreckend sei, dass das Leid der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie der Angehörigen keine Rolle gespielt habe, erklärte der Jurist Eugen Endress für die Arbeitsgruppe „Machtstrukturen und Aktenanalyse“ bei der Vorstellung des Berichts. Es habe keinerlei Aufklärungsbemühungen bei Saier und Zollitsch gegeben. Vielmehr sei es ihnen nur um den Schutz der Institution, der Kirche und der Priester, gegangen.
Unter der Führung von Zollitsch, der von 2008 bis 2014 auch Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz war, sei die Kirche „ein Schutzraum für Täter, eine Hölle für Kinder“ gewesen, kritisierte der Betroffenenbereit der Erzdiözese Freiburg in einer Stellungnahme. So hätten Betroffene trotz der „grausamen Taten“ keinerlei Hilfe erhalten, Täter seien lediglich versetzt worden. Ein rechtzeitiges Melden an staatliche und kirchliche Behörden hätte jedoch zahllosen Kindern, Jugendlichen, Familien und Gemeinden Leid ersparen können.
Die Freiburger Aktenanalyse zeige, dass ein hierarchisch aufgebautes Machtsystem Missbrauch begünstigt, erklärte die kirchliche Reformbewegung „Wir sind Kirche“. Aufarbeitung, therapeutische Begleitung und angemessene Ausgleichszahlungen für Betroffene seien mehr als dringlich.
Dem Bericht zufolge haben rund 540 Kinder und Jugendliche im Erzbistum Freiburg sexuelle Gewalt durch Priester und Ordensleute erfahren. Es gebe über 250 beschuldigte Priester und 33 weitere Beschuldigte, darunter etwa Diakone. Allerdings sei von einer erheblich größeren Dunkelziffer auszugehen, sagte Striet. Ziel der Studie war, sexuellen Missbrauch an Minderjährigen in der Zeitspanne von 1946 bis 2014 zu untersuchen.
Der Bericht habe ein „Versagen kirchlicher Strukturen“ aufgedeckt, sagte der Freiburger Erzbischof Stephan Burger, der auch stellvertretender Missbrauchsbeauftragter der katholischen Deutschen Bischofskonferenz ist. Das Kirchenrecht sehe ein Eingreifen und Melden von Fällen vor. Dass dies seine beiden Vorgänger wider besseres Wissen „schlichtweg ignoriert“ hätten, mache ihn fassungslos.
Ob sein Verhalten auch kirchenrechtliche Konsequenzen für Alt-Erzbischof Robert Zollitsch hat, werde der Apostolische Stuhl in Rom entscheiden. Entsprechende Maßnahmen seien eingeleitet worden, sagte Burger. Während Burgers Amtszeit selbst sind laut Bericht keine Vertuschungen festgestellt worden.
Zollitsch war von 2003 bis 2013 Erzbischof, bereits zuvor sei er als Personalreferent unter Erzbischof Saier an solchen Vertuschungen beteiligt, so die Berichterstatter. Dieser hatte im Herbst öffentlich für sein Fehlverhalten im Umgang mit sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche um Verzeihung gebeten.
Am Dienstag wollte sich Zollitsch nicht zu dem Bericht äußern. Aus Rücksicht auf die Betroffenen und aus Respekt vor der Aufarbeitung habe er sich „Schweigen auferlegt“, heißt es dazu auf seiner Homepage.
Nach der Veröffentlichung des Missbrauchsberichts in der Erzdiözese Freiburg haben verschiedene Gruppen am Dienstag zu Solidaritätsaktionen mit Betroffenen aufgerufen. Bereits seit Montag ist vor dem Freiburger Münster die karikierende Skulptur„ Hängemattenbischof“ zu sehen. Damit will der Verein Betroffeneninitiative Süddeutschland gemeinsam mit der Giordano-Bruno-Stiftung auf die prekäre Lage der Betroffenen in der katholischen Kirche aufmerksam machen.