Sozialpsychologe: "Deutschland wird nicht immer gewalttätiger"

Sozialpsychologe: "Deutschland wird nicht immer gewalttätiger"
16.03.2023
epd
epd-Gespräch: Stefanie Walter

Marburg (epd). Trotz der Gewalttat an einer Zwölfjährigen aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg sieht der Sozialpsychologe Ulrich Wagner kein generelles Gewaltproblem in der Gesellschaft. „Es ist nicht so, dass Deutschland immer gewalttätiger wird“, sagte der emeritierte Professor der Universität Marburg dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik zeige seit 15 Jahren einen Rückgang von Gewalt.

Die Tötung der Zwölfjährigen durch mutmaßlich zwei 12 und 13 Jahre alte Mädchen halte er für einen „absoluten Einzelfall“, sagte Wagner. „Gewalttaten von dieser Brutalität, in dem Alter, ausgeführt von zwei Mädchen, passieren fast nie.“

Seit einiger Zeit häuften sich allerdings in den Kommunen die Klagen der Polizei über Einzelfälle von Gewalt, sagte der Wissenschaftler. Dabei handele es sich oft um „Gruppentaten“, in denen „gruppendynamische Faktoren“ eine Rolle spielten, zum Beispiel: Eine Gruppe Jugendlicher raube einem anderem das Handy. Wichtig sei dabei nicht in erster Linie das Raubgut. Die Jugendlichen wollten vielmehr in der Gruppe deutlich machen, wie stark sie seien - und Ansehen gewinnen. Täter seien fast immer Jungen, teilweise auch in sehr jungem Alter.

An Schulen und in Kitas gebe es mit Konfliktbearbeitungstrainings eine gute Präventionsarbeit, die nachweislich erfolgreich sei, erklärte der Sozialpsychologe. Aus dieser Präventionsarbeit fielen allerdings junge Erwachsene heraus, wenn sie die Schule verlassen haben. Daher werde zurzeit ein neuer Ansatz diskutiert, die Kommunen stärker in die Präventionsarbeit einzubeziehen. Denn Gewalttaten von Jugendlichen könnten auch „Folge mangelnder Integration“ sein, was sich nicht nur auf Menschen mit Migrationshintergrund beziehe: Ein Teil junger Erwachsener habe nicht erkannt, dass man sich an bestimmte Regeln halten müsse, um gesellschaftliche Vorteile zu haben.

Kommunen, aber auch andere gesellschaftliche Akteure wie etwa Kirchen, müssten diesen jungen Menschen Angebote machen. „Wir haben als Gesellschaft das Angebot für junge Erwachsene komplett an kommerzielle Anbieter verlagert, und dabei kann ein nicht unerheblicher Teil der jungen Menschen finanziell nicht mithalten“, kritisierte Wagner. Diese suchten sich dann Möglichkeiten im öffentlichen Raum und gerieten oftmals in Konflikt mit Anwohnern und Gastronomie.