Acht Tote bei Amoklauf in Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg

Acht Tote bei Amoklauf in Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg
Entsetzen in Hamburg: Bei einem Amoklauf in einem Gemeindehaus der Zeugen Jehovas sterben acht Menschen. Das Motiv des Täters ist noch unklar. Er hatte sich von der Glaubensgemeinschaft abgewandt.

Hamburg (epd). Ein Amokläufer hat in Hamburg in einem Gemeindehaus der Zeugen Jehovas sieben Menschen erschossen und anschließend sich selbst getötet. Die Polizei geht davon aus, dass ein ehemaliges Mitglied der Glaubensgemeinschaft die Tat am Donnerstagabend verübt hat. Der 35 Jahre alte Mann mit deutscher Staatsangehörigkeit sei beim Eintreffen der Einsatzkräfte in den ersten Stock des Gebäudes geflohen und habe sich dort selbst erschossen.

Die Ermittler werteten es als Glücksfall, dass Spezialeinsatzkräfte der Polizei in der Nähe und entsprechend schnell vor Ort waren. Dadurch seien weitere Opfer verhindert worden. Laut Polizei hatten sich am Donnerstagabend rund 50 Gemeindemitglieder in dem Gebäude im Stadtteil Alsterdorf versammelt. Acht Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schwer. Die Getöteten sind zwei Frauen, vier Männer sowie ein ungeborenes Mädchen im Alter von 28 Wochen.

Laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) könnte die Zahl der Todesopfer weiter steigen. „Es steht zu befürchten, dass weitere Opfer ihren schweren Verletzungen erliegen werden“, sagte er am Freitagmittag am Rande eines Treffens mit Wirtschaftsvertretern in München. Der Kanzler sprach von einem „schrecklichen Vorfall in meiner Heimatstadt Hamburg“. „Wir sind fassungslos angesichts dieser Gewalt“, sagte er.

Ralf Peter Anders, Leiter der Staatsanwaltschaft Hamburg, sagte in Hamburg vor Journalisten, es gebe keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund. Der mutmaßliche Täter sei bei der Polizei bislang nicht auffällig geworden.

Thomas Radszuweit, Leiter des Hamburger Staatsschutzes, sagte, der Mann habe die Gemeinde vor anderthalb Jahren verlassen. Es gebe Aussagen, dass er den Zeugen Jehovas freiwillig den Rücken gekehrt habe, andere Personen hätten angegeben, er sei ausgeschlossen worden. „Das Motiv für die Tat lässt sich derzeit noch nicht sicher feststellen“, sagte er. Der Mann habe die Tatwaffe als Sportschütze legal besessen.

Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sagte, im Januar habe es einen anonymen Hinweis gegeben, wonach der Mann psychisch krank sein könnte und somit nicht geeignet sei, eine Waffe zu besitzen. Er soll dem Hinweis zufolge eine besondere Wut auf religiöse Anhänger gehabt haben, besonders auf die Zeugen Jehovas, und seinen ehemaligen Arbeitgeber.

Bei Recherchen der Waffenbehörde und einem anschließenden Gespräch mit dem Mann bei einer unangekündigten Kontrolle im Februar hätten sich jedoch keine weiteren Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung ergeben. Der 35-Jährige sei kooperativ gewesen.

Kirchliche und staatliche Sektenexperten werfen den Zeugen Jehovas totalitäre Strukturen vor. Nach Angaben der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen erwarten sie unbedingten Gehorsam, für kritische Rückfragen oder Bedenken lassen sie keinen Raum. Die Zeugen Jehovas haben nach eigenen Angaben weltweit rund 8,7 Millionen Mitglieder, in Deutschland seien es rund 170.000.

Der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) lobte den Einsatz der Polizei bei dem Amoklauf. Wenige Minuten nach den ersten Notrufen seien Einsatzkräfte vor Ort gewesen, die zufällig in der Nähe und gerade dabei gewesen seien, ihren Dienst zu beenden. Es sei davon auszugehen, dass sie vielen Menschen das Leben gerettet hätten. „Das ist das schlimmste Verbrechen in der jüngsten Geschichte unserer Stadt“, sagte Grote.

Weitere Politiker und Repräsentanten der Kirchen äußerten sich bestürzt über die Tat. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach den Betroffenen seine „tiefe Anteilnahme an diesem Tag des Schmerzes“ aus. Auch die Zeugen Jehovas äußerten sich „tief betroffen“. „Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen“, heißt es in einer Stellungnahme von Jehovas Zeugen in Deutschland auf der Website der Glaubensgemeinschaft.

Die evangelische Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sagte: „Diese furchtbare Gewalttat lässt uns fassungslos zurück.“ Der katholische Hamburger Erzbischof Stefan Heße sagte, es müsse nun Stück für Stück mehr Licht in die Situation gebracht werden, „damit wir sie verstehen“.