Stuttgart (epd). Ein Blick in den Saal der Stuttgarter Synagoge zeigt: Heute ist kein normaler Gottesdienst wie an Schabbat. Viele sitzen an ihren Plätzen nicht nur festlich gekleidet, sondern auch verkleidet: Ein Mann hinten am Eingang trägt ein Batman-Kostüm, eine Piratin ist auf der Frauenempore zu sehen, ein Junge ist als Polizist verkleidet.
Es wird der jüdische Festtag Purim gefeiert, der in diesem Jahr auf den 7. März fiel. Rabbiner Yehuda Pushkin liest auf Hebräisch aus der Esther-Schriftrolle (Megillat Esther) und alle hören zu. Immer, wenn der Name „Haman“ fällt, wird es laut: Die Gemeinde klopft, trampelt oder macht mit Ratschen möglichst viel Lärm. „Haman ist derjenige in der Esthergeschichte, der die Juden vernichten wollte. Damit wir seinen Namen nicht hören müssen, sind wir laut“, erklärt Sabina Morein, Leiterin des Kindergartens „Gan HaShalom“ der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW).
Laut Esthergeschichte war Haman der oberste Minister des Perserkönigs Ahasveros, bekannt als Xerxes I. (486-465 vor Christus). An einem durch das Los (hebräisch: Pur, Plural: Purim) bestimmten Tag wollte Haman die gesamte jüdische Bevölkerung ermorden lassen. Darauf gab Königin Esther bei einem Festmahl für ihren Ehemann König Ahasveros ihre bis dahin geheim gehaltene jüdische Identität preis. Der Genozid wurde so verhindert.
Nach der Lesung in der Synagoge verwandelt sich das Gemeindezentrum in eine große Feier. Im Speisesaal gibt es ein Buffet, ein Klassenzimmer wird zur Kinderdisco, Hüpfburgen blasen sich in vielen Räumen auf. Die Frau des Rabbiners, Nelly Pushkin, geht durch die Räume und bietet auf einem silbernen Tablett dreieckiges, süßes Gebäck an, die sogenannten Hamantaschen. „Purim Sameach - ein fröhliches Purim“ wünscht sie.
Damit auch Kinder diese Freude miterleben können, habe man den „Purimpark“ aufgebaut, mit Hüpfburgen und Spielstationen. Weil sich in der Geschichte alles geändert hat, vom Bösen ins Gute, verkleideten sich die Leute auch an Purim, und veränderten sich dadurch ebenfalls, erklärt die Frau des Rabbiners.
Zwei Mädchen mit Krönchen auf dem Kopf führen auf der Bühne des Gemeindesaals einen Tanz auf. „Oft übernehmen wir bei der Verkleidung Figuren aus der Esthergeschichte. Viele Mädchen sind deshalb als Prinzessin oder Königin verkleidet“, erklärt Kindergartenleiterin Morein. Auch ein etwa vierjähriges Mädchen mit blauem Tüllkleid erklärt stolz, dass sie die Königin Esther sei: „Weil die so schön ist.“
„Scotch oder japanisch?“ Bevor Rabbiner Yehuda Pushkin Fragen beantwortet, bietet er erstmal einen Whisky an. Denn an Purim ist es erlaubt, viel Alkohol zu trinken. „Le Chaim - auf das Leben“ - mit dem jüdischen Trinkspruch erhebt er sein Glas. Purim sei ein fröhliches Fest, sagt der Rabbiner, aber mit ernstem Hintergrund. Nicht immer habe es in der Geschichte einen glücklichen Ausgang gegeben, bei dem Juden vor Genozid gerettet wurden. Und doch habe es auch immer wieder an manchen Orten Fälle gegeben, in denen Juden bewahrt wurden, wo die Gemeinde kurz vor ihrer Zerstörung stand und sich durch ein Wunder retten konnte. „Ein lokaler Purim sozusagen“.
Schon am Morgen hat Sabina Morein mit ihren Kindergartenkindern Purim-Lieder gesungen, und den Kindern eine kleine Papierrolle gebastelt, auf der in Bildern und auf Deutsch statt Hebräisch die Esther-Geschichte erzählt wird. Denn nicht alle jüdischen Familien würden die Traditionen kennen. Deshalb sei es eine wichtige Aufgabe der Gemeinde, die jüdischen Traditionen weiterzugeben.
Für alle Kinder ist eine Schachtel mit Süßigkeiten und Knabbereien als Geschenk vorbereitet. Wichtig sei an Purim auch, dass man die Armen nicht vergesse und ihnen ebenfalls Geschenke mache oder Geld spende, betont Morein. Vom Baby bis zu den Großeltern: Für jeden solle Purim ein fröhliches Fest sein.