Tunis (epd). Im zunehmend autoritär regierten Tunesien ist die Bevölkerung am Sonntag zu einer Stichwahl für das Parlament aufgerufen. In 131 Wahlkreisen, in denen beim ersten Urnengang am 17. Dezember vergangenen Jahres kein Kandidat eine absolute Mehrheit erhalten hatte, treten die beiden bestplatzierten Bewerber gegeneinander an. Mehrere Oppositionsparteien boykottieren die Wahl. Mit rund elf Prozent war die Wahlbeteiligung bei der ersten Runde im Dezember sehr niedrig ausgefallen.
23 Kandidaten und Kandidatinnen wurden bereits im ersten Wahlgang gewählt. Für den zweiten Wahlgang sind nun rund acht Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen. Verschiedene Oppositionsparteien, die zum Boykott der Abstimmung aufgerufen hatten, stellten die Legitimität der Abstimmung infrage, bezeichneten die Wahl als Debakel und forderten Präsident Kais Saied zum Rücktritt auf.
Nach dem Verfassungsreferendum vom 25. Juli 2022 sind die Parlamentswahlen ein weiterer wichtiger Schritt im Plan des Staatsoberhauptes, das politische System nach seinen Vorstellungen zu verändern. Lange galt Tunesien als Vorreiter bei der Demokratisierung in der Region. Doch vor etwa eineinhalb Jahren hatte Präsident Kais Saied den Notstand ausgerufen, weite Teile der Macht an sich gerissen und das Parlament aufgelöst.
Erste Ergebnisse der Stichwahl werden Anfang kommender Woche, das vorläufige amtliche Endergebnis spätestens Anfang März erwartet. Dann wird Tunesien zum ersten Mal seit der Auflösung des Parlaments wieder ein gewähltes Abgeordnetenhaus haben.