Berlin (epd). Die gemeinnützige Organisation HateAid hat gemeinsam mit der Europäischen Jüdischen Studierendenunion (EUJS) den Kurznachrichtendienst Twitter verklagt. In der beim Landgericht Berlin eingereichten Zivilklage kritisieren sie die mangelhafte Moderation von volksverhetzenden Inhalten auf der Plattform. Gegenstand der Klage seien sechs antisemitische und rechtswidrige Kommentare, die trotz Meldung nicht gelöscht wurden, teilten die Organisationen am Mittwoch in Berlin mit.
In einem konkreten Fall von Schoah-Leugnung sei die Löschung sogar explizit abgelehnt worden, hieß es. Diese Praxis stehe im Widerspruch zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Twitter. Dort gebe das Unternehmen an, Hass schürendes Verhalten und Gewaltandrohungen nicht dulden zu wollen.
Ziel des Grundsatzprozesses ist es nach Angaben von Rechtsanwalt Torben Düsing von der Düsseldorfer Kanzlei Preu Bohlig, erstmals gerichtlich zu klären, ob soziale Netzwerke trotz des unverbindlichen Wortlauts ihrer AGB dazu verpflichtet sind, die eigenen Regeln umzusetzen. „Geklärt werden soll auch, ob Nutzende einen Rechtsanspruch auf Durchsetzung der AGB von Twitter haben, auch wenn sie nicht persönlich betroffen sind“, sagte Düsing.
Bislang gebe es bei Twitter keine Möglichkeit, gegen die Nichtlöschung von Volksverhetzung vorzugehen. Das Urteil könnte laut Düsing ein sogenannter „Gamechanger“ (deutsch: Spielwechsel) sein. „Wenn das Landgericht Berlin der Argumentation von HateAid und EUJS folgt, würde das den Schutz von Userinnen und Usern deutlich verbessern“, sagte Düsing: „Wir erwarten uns davon eine Signalwirkung für zahlreiche Betroffene.“
Eingereicht hat die Klage Avital Grinberg als Präsidentin der EUJS gemeinsam mit HateAid. „Twitter hat unser Vertrauen gebrochen und kultiviert Hass und Gewalt“, sagte Grinberg. In der Folge zögen sich viele Jüdinnen und Juden aus Angst und Frust von der Plattform zurück.
„Social Media ist aber der wichtigste Debatten-Raum für die junge Generation“, sagte Grinberg: „Wenn Jüdinnen und Juden durch Antisemitismus und digitale Gewalt aus dem Netz verdrängt werden, wird jüdisches Leben an einem gesellschaftlich relevanten Ort unsichtbar. Das wollen wir nicht länger hinnehmen.“
Josephine Ballon, Chefjuristin von HateAid, sagte, es gehe grundsätzlich um den Schutz marginalisierter Gruppen. „Sie verstummen, weil sie niemand schützt“, kritisierte sie. Twitter sichere zwar zu, Gewalt auf seiner Plattform nicht zu dulden. „Leider sehen wir in der Praxis das Gegenteil.“ Und auch die Behörden versagten. „Nach unserer Kenntnis ist in solchen Fällen bislang nicht einmal ein Bußgeld verhängt worden“, kritisierte Ballon. Dabei wären laut Rechtsanwalt Düsing Strafgelder von mehreren hunderttausend Euro möglich.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, nannte die Klage einen notwendigen Schritt im Kampf gegen „Hate Speech“. Die Plattformbetreiber müssten ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen.
HateAid wurde 2018 gegen Hass im Netz gegründet. Die Organisation unterstützt Betroffene digitaler Gewalt bei der Durchsetzung ihrer Rechte.