Hildesheim (epd). Die Fähigkeit, komplexe Texte zu lesen und zu verstehen, nimmt nach Ansicht des Hildesheimer Blindenmissions-Leiters Andreas Chrzanowski auch bei blinden Kindern ab. „Das ist bei Blinden vielleicht noch extremer“, sagte Chrzanowski dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich des Welt-Braille-Tages am 4. Januar. „Andere Kinder sehen ab und zu noch auf ihrem Handy ein Wort und wie es geschrieben wird - manchmal zufällig. Aber diesen Blick haben Blinde eben nicht.“
Insbesondere für Menschen, die erst im Alter erblindeten, seien die technischen Entwicklungen ein Segen, sagte der evangelische Pastor. So sei es möglich, sich einen Brief vorlesen zu lassen, indem einfach das Mobiltelefon darüber gehalten werde. Im Alter sei es schwieriger, die Blindenschrift zu lernen, erläuterte er. „Wenn man älter wird, sind auch die Fingerkuppen nicht mehr so empfindlich, weil sich eine Hornhaut gebildet hat.“ Insgesamt bleibe aber die Punktschrift, die der Franzose Louis Braille (1809-1852) erfand, von immenser Bedeutung. Darum sei es so wichtig, sie zu lehren.
„Mit der Blindenschrift eröffnen sich Welten, die ich als Blinder selbst begehen kann - ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein“, sagte Chrzanowski. Der Welt-Braille-Tag erinnert an dessen Geburtstag an den Erfinder der Punktschrift.
Chrzanowski berichtete aus asiatischen Ländern, in denen sich die Hildesheimer Blindenmission für blinde Kinder und Jugendliche engagiert. „Unsere älteste Schule dort ist gerade 125 Jahre alt geworden. Es war eine Revolution, als Martha Postler die Schule gegründet hat und gleich angefangen hat, Blindenschrift in Chinesisch zu lehren“, sagte er. „Denn dort herrschte damals die Einstellung, das sei gar nicht möglich und auch nicht nötig.“
Trotz intensiver Bemühungen der Regierungen gebe es diese Einstellung mancherorts bis heute. „Ich war auf einer sehr einsamen Insel im Norden Sumatras. Dort leben viele blinde Kinder und Jugendliche in Armut, die noch nie eine Schule von innen gesehen haben“, sagte Chrzanowski. „Das sind noch Zustände, gegen die schon Louis Braille angegangen ist.“
Bis heute sei in manchen Ländern Bettler ein klassischer Blindenberuf, dabei gebe es ganz andere Möglichkeiten. „Unsere Hongkonger Schule ist da großer Vorreiter und hilft jungen Menschen in moderne Berufe.“ Dazu gehöre die Arbeit in Call-Centern, in denen die Mitarbeitenden über Produkte beraten, ebenso wie Tätigkeiten als Programmierer. Für beides sei nach wie vor das Lernen der Blindenschrift eine zentrale Voraussetzung.