München (epd). Zwischen Wahrheitsanspruch und Alltagslüge: Für einen bewussteren Umgang mit Notlügen hat die Philosophin Katharina Ceming plädiert. „Meistens gehen uns die sozialen Lügen recht leicht über die Lippen“, sagte die Theologieprofessorin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wer sich für das neue Jahr einen ehrlicheren Lebenswandel vornimmt, müsse zunächst überprüfen, in welchen Situationen er solche Lügen anwende. Danach könne man überlegen, „ob man nicht die Wahrheit sagen und wie man sie gut verpacken könnte“, sagte Ceming.
Neben der moralisch verwerflichen Lüge, die dem eigenen Vorteil diene, gebe es ein breites Feld von sogenannten sozialen Lüge, „wo wir nicht immer bei der Wahrheit bleiben, um einem anderen Menschen nicht weh zu tun“. Als soziales Wesen wisse der Mensch, dass die Wahrheit nicht der einzige wichtige Wert im Leben sei. Sie stünde teilweise in Konkurrenz zu Werten wie Empathie, Solidarität oder Gerechtigkeit. „Die große Frage ist immer, welchen Wert ich in welcher Situation für wesentlich erachte“, sagte die Philosophin. Wenn die Freundin ihren neuen Haarschnitt toll finde, man selbst aber nicht, dann „greift man auch mal zur Notlüge“.
Als „Dauerstrategie, um sich Ärger vom Hals zu halten“ könnten soziale Lügen jedoch Schaden anrichten. Gut zu Lügen sei anstrengender und komplizierter, als die Wahrheit zu sagen. „Die Wahrscheinlichkeit ist relativ groß, dass das als Dauerkonstrukt irgendwann mal zusammenkracht“, sagte Ceming. Zudem sei die Lüge der Parasit der Wahrheit: „Wir können uns eine Welt ohne Lüge vorstellen, aber keine Welt ohne Wahrheit.“ Die Lüge sei immer an die Wahrheit gebunden, die Wahrheit aber nicht an die Lüge, erläuterte Ceming. Psychologisch betrachtet sei die Wahrheit deshalb die Standardeinstellung: „Es kostet einfach viel weniger Energie, die Wahrheit zu sagen, weil wir nichts zusammenkonstruieren müssen.“