Göttingen (epd). Das gegenwärtige Artensterben hat aus Sicht des Göttinger Evolutionsbiologen Christoph Bleidorn längst epochale Ausmaße erreicht. „Die Arten sterben schneller, als wir sie erfassen können“, sagte der Biodiversitäts-Professor am Rande einer Kundgebung in Göttingen für den Erhalt der biologischen Vielfalt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Anlass war die noch bis zum 19. Dezember im kanadischen Montreal tagende Biodiversitäts-Konferenz der Vereinten Nationen.
Der Verlust der biologischen Vielfalt lasse sich zwar schwer beziffern, da von den mutmaßlich zehn bis 20 Millionen Arten nur etwas mehr als 1,5 Millionen beschrieben seien, sagte Bleidorn. Zudem fehlten Vergleichszahlen früherer Jahrhunderte. Ein deutliches Krisensymptom sei jedoch der Insektenschwund. Die Biomasse der Insekten sei in den vergangenen 27 Jahren um 76 Prozent zurückgegangen. 27 Prozent aller Säugetierarten und 41 Prozent aller Amphibienarten seien vom Aussterben bedroht.
Das Ausmaß sei mit den fünf großen Massenaussterben der vergangenen 500 Millionen Jahre vergleichbar. Das letzte dieser „Big Five“ sei vor 66 Millionen Jahren vermutlich durch einen Asteroiden-Einschlag verursacht worden. Dieses Beispiel zeige zwar, dass auch nach solchen Einschnitten neue Arten und Ökosysteme entstehen. „Das dauert jedoch Jahrmillionen. Innerhalb unserer historischen Zeithorizonte zerstören wir mit der biologischen Vielfalt dauerhaft unsere Lebensgrundlage“, warnte Bleidorn.
So fehlten jetzt schon vielerorts Bäume, die die Luft reinigen, und Insekten, die Pflanzen bestäuben. Durch abnehmende biologische Vielfalt leide auch die Wasserqualität und die Qualität der Ackerböden. „Viel von dem, was unsere komplexen Ökosysteme für uns leisten, ist noch gar nicht erforscht“, gab der Biologe zu bedenken. So gehe etwa mit der Artenvielfalt ein großes Potenzial für die Arzneimittelforschung verloren. Die genetische Vielfalt der Tiere und Pflanzen sei ein unendliches Reservoir für die Suche nach neuen medizinischen Wirkstoffen.
Von der UN-Konferenz in Montreal erhofft sich Bleidorn, dass sie das Problembewusstsein weltweit erhöht. „Der politische Druck auf die Regierungen muss steigen.“ Denn Staaten seien die wichtigsten Akteure beim Schutz der Biodiversität, etwa indem sie Schutzvorgaben in nationales Recht umsetzen. „Daran scheitert es leider oft“, sagte der Biologe. Das Ziel der Konferenz, 30 Prozent der Landfläche und 30 Prozent der Meere unter Schutz zu stellen, sei dennoch richtig gesetzt.