Berlin (epd). Ein Bündnis aus 130 zivilgesellschaftlichen Organisationen hat vor einer Verwässerung des geplanten EU-Lieferkettengesetzes gewarnt. Dieses müsse Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt verpflichten, forderte die Initiative Lieferkettengesetz am Dienstag in Berlin. Der vorliegende Entwurf des zuständigen EU-Ministerrats enthalte zahlreiche Schlupflöcher, kritisierte das Bündnis bei einer Protestaktion vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. Mehrere EU-Regierungen, darunter Deutschland, versuchten weiterhin, das Vorhaben abzuschwächen.
Vertreter von Amnesty International, Greenpeace und Misereor präsentierten im Rahmen einer symbolischen Aktion rund 90.000 Unterschriften für ein wirksames Lieferkettengesetz. Der Initiative gehören nach Angaben von Amnesty International rund 130 zivilgesellschaftliche Organisationen an, darunter Brot für die Welt, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und Oxfam Deutschland.
Die deutsche Bundesregierung stimmte am Donnerstag auf der Sitzung des zuständigen EU-Ministerrats „Wettbewerbsfähigkeit“ in Brüssel für den gemeinsamen Entwurf. Dieser sieht unter anderem vor, dass europäische Unternehmen auch zivilrechtlich für Schäden haften sollen, die sie durch Missachtung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette verursacht haben. Die volle Sorgfaltspflicht ist nicht auf das erste Glied der Lieferkette begrenzt. Neben Menschenrechten sollen Unternehmen auch Umweltstandards achten und Klimapläne erstellen. Damit würde das EU-Lieferkettengesetz deutlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehen, das am 1. Januar 2023 in Kraft tritt.
Das Bündnis kritisierte, die Bundesregierung habe sich dafür eingesetzt, Waffenexporte und Finanzinvestitionen von dem Gesetz auszunehmen und Unternehmen, die ihre Klimapläne nicht umsetzen, nicht zu sanktionieren, Diese Positionen fänden sich nun auch im EU-Ratsbeschluss wieder. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es, dass die deutsche Ampel-Koalition ein „wirksames EU-Lieferkettengesetz“ unterstütze, mit der Einschränkung, dass dies „kleinere und mittlere Unternehmen nicht überfordert“.
Der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus N. Beeko, forderte, das EU-Lieferkettengesetz müsse alle Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zum Schutz von Menschenrechten verpflichten. Es müsse beispielsweise greifen, wenn Lieferungen von Flugbenzin nach Myanmar zu Kriegsverbrechen beitragen könnten. „Es darf keine Ausnahmen für wichtige Geschäftsfelder wie Waffenexporte oder Finanzinvestitionen geben“, mahnte der Amnesty-Generalsekretär. Nur durch eine umfassende Regelung könne die Europäische Union weltweit Standards setzen.
Wirksam sei ein EU-Lieferkettengesetz nur dann, wenn Betroffene von Menschenrechtsverletzungen Schadensersatz von den verantwortlichen Unternehmen in der EU einklagen könnten, sagte der Hauptgeschäftsführer des bischöflichen Hilfswerks Misereor, Pirmin Spiegel. Der verheerende Dammbruch im brasilianischen Brumadinho und die Brände in asiatischen Textilfabriken hätten gezeigt, dass Zertifikate und Branchenstandards keine Garanten für Menschenrechte seien.
Das EU-Parlament kündigte an, sich im kommenden Frühjahr zu dem EU-Lieferkettengesetz zu positionieren. Anschließend beginnen die als „Trilog“ bezeichneten Verhandlungen zwischen dem EU-Parlament, der EU-Kommission sowie dem Rat.