Berlin (epd). Die Politikwissenschaftlerin Sarah Pagung rechnet mit einer Fortsetzung der massiven russischen Angriffe auf zivile Ziele und Infrastruktur in der Ukraine. Neun Monate nach Beginn des Angriffskrieges sei auf russischer Seite keine echte Verhandlungsbereitschaft zur Beendigung der Kämpfe zu erkennen: „Es läuft auf einen Zermürbungskrieg hinaus“, sagte die Russland-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin dem Evangelischen Pressedienst.
Mit den Raketenangriffen wolle die russische Führung die ukrainische Bevölkerung mürbe machen, sagte die Wissenschaftlerin. „Das ist natürlich ein humanitärer Notstand, wenn wir jetzt in den Winter gehen, und die Menschen damit rechnen müssen, dass die Heizung nicht funktioniert, dass der Strom nicht funktioniert“, unterstrich Pagung. Nach wie vor sei es das Moskauer Kalkül, dass der Widerstand in der Ukraine wie auch die Unterstützung aus dem Westen, die ganz maßgeblich für das Durchhalten der Ukraine sei, mit der Zeit nachlassen würden.
Infolge der fortgesetzten Angriffe auf ukrainische Städte müsse der Westen sich auch darauf einstellen, dass weitere Teile der Bevölkerung, vor allem Frauen und Kinder, das Land verlassen könnten, um eine Grundversorgung zu erhalten, sagte Pagung. „Das könnte auch das sein, was Russland beabsichtigt, um die Debatte über Geflüchtete in Europa anzuheizen“, so die Politikwissenschaftlerin.
Der Westen könne zwar weiter versuchen, den internationalen Druck auf Russland hoch zu halten: „Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich mir davon aktuell nicht allzu viel erhoffe“, sagte die Russland-Expertin. Vor allem benötige die Ukraine derzeit eine gute Ausrüstung zur Flugabwehr, um sich gegen russische Angriffe zu wehren. Zudem könne der Westen das Land bei der Instandsetzung und Reparatur von Schäden an der Infrastruktur unterstützen.
Der Krieg in der Ukraine dauert seit neun Monaten an. Russische Truppen hatten am 24. Februar mit einer Invasion im Nachbarland begonnen. In den vergangenen Wochen wurden ukrainische Städte und zivile Ziele verstärkt zum Ziel von Luftangriffen. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wurden seit Kriegsbeginn rund 4.700 Raketen von den russischen Streitkräften abgefeuert. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft gibt die Zahl der getöteten Zivilisten mit mehr als 8.300, die der Verletzten mit mehr als 11.000 an.