Berlin (epd). Die abschließende Debatte war heftig, polemisch und lässt offen, wie es weitergeht: Beim Ringen um die Bürgergeld-Reform haben sich Regierung und Opposition am Donnerstag im Bundestag nichts geschenkt. Mit der Mehrheit der Ampel-Koalition wurde das Gesetz anschließend beschlossen.
Unionsfraktions-Chef Friedrich Merz (CDU), der in der Debatte nicht das Wort ergriff, hat angekündigt, die unionsgeführten Länder würden der Reform im Bundesrat nicht zustimmen. Das ist aber nötig, damit das Gesetz und damit auch die Regelsatz-Erhöhung von 449 Euro auf 502 Euro zum Jahresanfang in Kraft treten kann. Die Länderkammer kommt am Montag zu einer Sondersitzung zusammen, in der auch das Bürgergeld auf der Tagesordnung steht.
Im Bundestag wurde die vertrackte Lage in zwei namentlichen Abstimmungen deutlich: Für die Bürgergeld-Reform im Ganzen stimmte eine Mehrheit von 385 Abgeordneten, 261 Parlamentarier lehnten sie ab, 33 enthielten sich der Stimme. Der Erhöhung der Regelsätze stimmten hingegen 681 Abgeordnete zu. Die Union hatte die getrennte Abstimmung beantragt, um deutlich machen, dass sie die Hartz-IV-Bezieher, die besonders unter der Inflation leiden, nicht im Stich lassen will. Sie kritisiert aber die Lockerungen bei den Vorgaben für den Behalt von Ersparnissen und die Wohnung in den ersten beiden Jahren. Bis zu 60.000 Euro sollen zwei Jahre lang geschützt werden, für jede weitere Person im Haushalt weitere 30.000 Euro.
Der stellvertretende Unions-Fraktionschef Hermann Gröhe (CDU) warf der Ampel-Koalition die Verweigerung einer sachlichen Debatte vor. Die Union habe SPD, Grünen und FDP die Gelegenheit gegeben, sich zu korrigieren, sagte er. Diese sei ungenutzt verstrichen. „Glauben Sie im Ernst: Die Arroganz der Mehrheit im Bundestag erhöht die Chance auf eine Mehrheit im Bundesrat“, fragte der CDU-Politiker die Regierung.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verteidigte „die größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren“. Der Geist des Bürgergelds sei nicht, Menschen unter Generalverdacht zu stellen, nicht arbeiten zu wollen, konterte Heil den Vorwurf der Union, die Reform mindere die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen. Das Bürgergeld setze vielmehr auf Ermutigung und Respekt, unter anderem durch Anreize zur Weiterbildung und die Förderung von Berufsabschlüssen. Sanktionen würden künftig nur noch in hartnäckigen Fällen ausgesprochen, unnötige Bürokratie werde abgeschafft, erklärte Heil.
Der FDP-Arbeitsmarkt-Experte Johannes Vogel warf der Union vor, falsche Informationen über das Bürgergeld zu verbreiten. Es sei auch künftig keine sanktionsfreie Leistung. Verbessert würden aber die Zuverdienstmöglichkeiten, insbesondere für junge Menschen aus Hartz IV-Haushalten, damit sie erführen, dass Arbeit sich lohne.
Der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Norbert Kleinewächter, warf der Ampel-Koalition hingegen vor, das Bürgergeld helfe nicht denen, die Hilfe bräuchten, sondern denen, die nicht arbeiten wollten, weil sie mit dem Bürgergeld besser dastünden. Für die Linke, die sich bei der Abstimmung enthielt, erklärte Fraktionschef Dietmar Bartsch, das Bürgergeld sei keine Abkehr von Hartz IV. Es gebe zwar Fortschritte, aber ein Regelsatz von 502 Euro verhindere keine Armut.
Die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Britta Haßelmann, warf Unions-Fraktionschef Merz vor, in Krisenzeiten Sozialneid zu schüren. Dies sei kaum zu ertragen und verantwortungslos. Es gehe um die Lebenswirklichkeit und die sei in Deutschland verschieden, sagte sie. „Wie soll jemand, der sich vielleicht überlegen muss, ob er zur Party mit dem Privatjet oder mit dem Auto oder dem Zug“ reise, sich in die Lebenswirklichkeit einer alleinerziehenden Frau versetzen können, die überlegen müsse, ob sie ein paar neue Turnschuhe für das Kind kaufen könne.