Brasilianische Pastorin: Lula muss Gesellschaft wieder befrieden

Brasilianische Pastorin: Lula muss Gesellschaft wieder befrieden
03.11.2022
epd
epd-Gespräch: Alexander Nortrup

Bad Fallingbostel (epd). Die Brasilianer werden nach Einschätzung der brasilianischen Theologin Cristina Scherer nach dem langen und polarisierenden Wahlkampf einige Zeit brauchen, um wieder in den Dialog zu treten. Der anstehende Machtübergang von Jair Bolsonaro zu Luiz Inácio Lula da Silva werde die Spannungen und Polarisierungen in den Familien und der Gesellschaft nicht automatisch beenden, sagte die 45-jährige Pastorin und Ökumene-Referentin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Scherer ist seit einem Jahr in Bad Fallingbostel im Heidekreis tätig. Sie betonte: „Wir müssen über den gesellschaftlichen Frieden im Land sprechen und sollten Menschen mit anderer Meinung nicht als unsere Feinde sehen.“

Auch in den brasilianischen evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden mit ihren knapp 600.000 Mitgliedern sei zuletzt viel gestritten und diskutiert worden, sagte Scherer, die auch als Referentin für das Evangelisch-lutherische Missionswerk in Niedersachsen arbeitet. Die meisten lutherischen Gemeinden befänden sich im industriell starken Süden Brasiliens, wo eine große Mehrheit Bolsonaro und seinen wirtschaftsliberalen Kurs gewählt habe. „Manche Gemeindemitglieder haben sogar gefordert, dass die Kirche offen für Bolsonaro eintritt.“

Das sei ein Erbe der Amtszeit von Bolsonaro, der den Glauben als Kampfmittel gesehen habe: „Für ihn sollten Pastorinnen und Pastoren die Kanzel als politische Bühne nutzen. Wir respektieren aber unsere Vokation und wollen die Kanzel für das Evangelium reservieren.“ Der linksgerichtete Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei hatte sich in einer Stichwahl am Sonntag äußerst knapp gegen Amtsinhaber Jair Bolsonaro durchgesetzt und wird im Januar zum dritten Mal als Präsident Brasiliens vereidigt.

Das Land benötigt Scherer zufolge nun Geduld und Ausdauer. Der gewählte Präsident Lula habe zudem nicht die erforderliche Mehrheit im Kongress, um eigene Vorhaben durchzusetzen. „Aber seine Linkspartei hat andere Parteien auf ihrer Seite, auch aus dem Zentrum und von rechts. Außer Bolsonaro sind die meisten politisch Verantwortlichen dem Dialog verpflichtet.“ Hoffnung habe sie als Theologin und als Brasilianerin ohnehin immer, sagte Scherer.