Frankfurt a.M, Los Angeles (epd). Ältere Menschen sind nach Beobachtung des Historikers Frank Biess stärker von der Angst vor einem Atomkrieg zwischen der Nato und Russland betroffen als jüngere. Vor allem jüngere Menschen in Deutschland befürworteten aus moralischer Empörung über den Angriffskrieg die Unterstützung für die Ukraine, sagte Biess dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie sähen die Eskalationsgefahr nicht so sehr. Aber für die älteren Menschen handele es sich um die Rückkehr eines Szenarios, mit dem sie groß geworden seien - die Kalte-Kriegs-Angst und die Angst vor dem Atomkrieg.
Diejenigen, die die Friedensbewegung und die 80er Jahre miterlebt hätten, sähen die Situation heute vielleicht mehr aus dieser Perspektive als die jüngeren Menschen, sagte Biess, der als Professor an der University of California lehrt und Autor des Buches „Republik der Angst“ ist. Damals habe jeder gewusst, wie lange eine russische Mittelstreckenrakete nach Berlin brauchen würde.
Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 sei aber ein Stück weit vergessen worden, dass auf beiden Seiten noch Atomwaffen existieren. „Die Blockkonfrontation schien überwunden. Mit dem islamistischen Terrorismus gab es nach 9/11 neue Quellen für Ängste.“ Mit der Aggression Russlands komme die Kalte-Kriegs-Angst wieder in den Blick. „Die jetzige Angst ist eine Retro-Angst“, sagte Biess.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dem seine Zurückhaltung immer vorgeworfen werde, sei auch mit diesen Erfahrungen sozialisiert worden. Er sei beispielsweise auch unter den Demonstranten bei der Bonner Hofgarten-Demo 1981 gegen den Nato-Doppelbeschluss gewesen.
Angst kann laut Biess eine Kommunikationsstrategie sein. Das Gefühl sei auch von der Friedensbewegung in den 80er Jahren als Mittel eingesetzt worden, um Aufmerksamkeit zu mobilisieren. Die ganze Abschreckungsdynamik im Kalten Krieg habe mit diesen Ängsten operiert. Auch in der heutigen Situation werde Unsicherheit kultiviert, sagte der Angst-Forscher.