Berlin (epd). Opposition und Regierung haben sich bei der ersten Beratung des Bürgergeld-Gesetzes einen Schlagabtausch geliefert. Union und AfD warfen der Ampel-Koalition am Donnerstag im Bundestag vor, Langzeitarbeitslose künftig schonen statt fordern zu wollen. Das Bürgergeld sei eine verpasste Chance bei der Integration in Arbeit, kritisierte der Arbeitsmarktexperte der Unionsfraktion, Stephan Stracke (CSU).
Das Bürgergeld soll vom kommenden Jahr an die Hartz-IV-Leistungen ablösen. Dem Gesetzentwurf zufolge soll der Regelsatz um 53 Euro auf 502 Euro im Monat erhöht werden. Die Arbeitsvermittlung wird neu aufgestellt, damit die Langzeitarbeitslosen Berufsabschlüsse nachholen und Weiterbildungen absolvieren können, um dauerhaft Arbeit zu finden. Im ersten halben Jahr des Bürgergeld-Bezugs sollen nur in hartnäckigen Fällen Sanktionen ausgesprochen werden, und in den ersten beiden Jahren werden Wohnung und Erspartes besser geschützt als im Hartz-IV-System.
Der Unionsabgeordnete Stracke sagte, Arbeit müsse sich auch in der Grundsicherung lohnen. Mit „einer sechsmonatigen Schonzeit“ werde aber das gegenteilige Signal gesetzt. Während deutsche Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchten, werde die Reform nicht dazu beitragen, Arbeitslose in offene Stellen zu vermitteln.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wies die Kritik zurück. Die Reform ziele darauf, Menschen dauerhaft in Arbeit zu bringen und nicht immer wieder in Hilfsjobs zu vermitteln, wie bisher, weil zwei Drittel der Betroffenen keinen Berufsabschluss haben. Deshalb würden Langzeitarbeitslose dabei unterstützt, einen Abschluss nachzuholen oder sich weiterzubilden. „Wir wollen, dass Arbeit sich lohnt“, sagte Heil.
Das Bürgergeld sei kein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern eine existenzielle Sicherung für Menschen in Not. Die Regelsätze würden erhöht und „nicht mehr der Inflation hinterherlaufen“, betonte Heil. Die Menschen müssten sich nicht sofort Sorgen machen, dass sie ihre Wohnung oder ihr Erspartes verlieren. Die Pandemie habe gezeigt, wie schnell Menschen, beispielsweise Solo-Selbstständige, in solche Nöte geraten könnten.
Kai Whittaker (CDU) vom Wirtschaftsflügel seiner Partei hielt der Koalition dagegen vor: „Beim Bürgergeld stehen nicht die Menschen im Mittelpunkt, sondern die Vergangenheitsbewältigung der SPD.“ Die ehemalige Arbeiterpartei SPD lasse die kleinen Leute tatsächlich aber einmal mehr im Stich, erklärte Whittaker: „Menschen mit sehr kleinen Einkommen werden sich ganz genau überlegen, ob sie nicht besser fahren, ihren Job an den Nagel zu hängen und stattdessen Bürgergeld zu beantrage“, sagte Whittaker. Dabei gehe es nicht um die Erhöhung der Regelsätze, die angesichts der Inflation berechtigt sei, sondern darum, dass künftiger weniger geprüft und Fehlverhalten seltener sanktioniert, aber mehr bezahlt werde, etwa zwei Jahre lang sämtliche Wohn- und Heizkosten, kritisierte der Unionspolitiker.
Der FDP-Abgeordnete Jens Teutrine hielt der Opposition entgegen, die Sanktionen würden zum größten Teil beibehalten und könnten auch in den ersten Monaten ausgesprochen werden. Er forderte die Union auf, keine falschen Fakten über die Reform zu verbreiten und damit Stimmung zu machen.
Der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Norbert Kleinewächter warf der Ampel-Koalition vor: „Sie ersetzen Leistung durch Müßiggang.“ Damit werde das Bürgergeld zum bedingungslosen Grundeinkommen, kritisierte Kleinewächter. Die Reform gehe vollkommen an der Realität arbeitender Menschen in der gegenwärtigen Krise vorbei.
Die Linke erneuerte hingegen ihre Kritik am Hartz-IV-System und erklärte, die Umbenennung der Leistungen in Bürgergeld löse keine Probleme. Die Parteivorsitzende Janine Wissler sagte zur Beratung der Reform im Bundestag, die Regelsätze blieben zu niedrig, und das Wenige werde auch weiterhin mit Sanktionen gekürzt.