Wahl in Brasilien: Weitere vier Wochen Polarisierung

Wahl in Brasilien: Weitere vier Wochen Polarisierung
Lula und Bolsonaro müssen in die Stichwahl
03.10.2022
epd
Von Susann Kreutzmann (epd)

Berlin, São Paulo (epd). Der linksgerichtete Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Brasilien knapp gewonnen. Dennoch sehen viele den rechtsextremen Amtsinhaber Jair Bolsonaro vor der Stichwahl Ende Oktober als Sieger. Denn der Ex-Militär erhielt 43,3 Prozent der Stimmen und konnte den Abstand zu den 48,3 Prozent für Lula deutlich geringer halten, als Umfragen vermuten ließen. In denen hatte der Ex-Gewerkschafter Lula, der Brasilien bereits von 2003 bis 2010 regierte, monatelang mit weit größerem Abstand geführt. Sogar ein Sieg Lulas im ersten Wahldurchgang schien möglich.

Nach den zugleich stattfindenden Parlamentswahlen stellt Bolsonaros aktuelle Partei Partido Liberal mit 101 Abgeordneten künftig die größte Fraktion in der unteren Kammer, dem Abgeordnetenhaus. Seine Partei und Verbündete stellen ebenfalls die meisten Senatoren und konnten auch bei den Gouverneurswahlen punkten.

Da kein Präsidentschaftskandidat mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinte, müssen sich Lula und Bolsonaro am 30. Oktober einer Stichwahl stellen. Somit erlebt Brasilien weitere vier Wochen Wahlkampf, in dem die politische Polarisierung noch verstärkt wird.

Lula sprach in der Wahlnacht vor enttäuschten Anhängern in São Paulo von einer zweiten Chance, um neue Allianzen zu bilden und die Wähler zu überzeugen. „Der Kampf geht bis zum endgültigen Sieg weiter“, sagte er und versprach, in den kommenden Wochen den Wahlkampf zu intensivieren.

Bolsonaro, der in Rio de Janeiro abgestimmt hatte, sah sich bestätigt. Er hatte immer behauptet, dass die Wahlumfragen nichts taugten oder gefälscht seien. „Wir haben die Lüge besiegt“, erklärte er. „Ich vertraue vollkommen auf einen Sieg.“ Bolsonaro hatte im Wahlkampf das elektronische Wahlsystem infrage gestellt und mit Behauptungen über Wahlbetrug provoziert - ähnlich wie sein Vorbild, der abgewählte US-Präsident Donald Trump.

Die Wahlen zeigen auch die politische Spaltung des größten Landes in Lateinamerika. Der 76-jährige Lula hat seine größte Unterstützerbasis im armen Nordosten und unter den Menschen mit einem geringen und mittleren Einkommen. Bolsonaro gewann dagegen im Süden und Westen, den Regionen mit der meisten Landwirtschaft. Auch in der Finanzmetropole São Paulo konnte er zulegen.

Mit der Stichwahl hat vor allem der 67-jährige Bolsonaro wertvolle Zeit gewonnen. Er kündigte bereits an, sich den ärmeren Wählern zuzuwenden. Wahrscheinlich ist, dass er weitere Hilfsprogramme ankündigt. Lula dagegen wird Zugeständnisse an die politische Mitte und die Wirtschaft des Landes machen müssen. Mit geschickten Bündnissen versuchte der Ex-Gewerkschafter bereits, Wirtschaftsvertreter für sich zu gewinnen. Dafür hat er seinen ehemaligen Kontrahenten, den Ex-Gouverneur von São Paulo, Geraldo Alckmin, zu seinem Vize gemacht.

Trotz Wahlpflicht blieben 32 Millionen Stimmberechtigte den Urnen fern. Für beide Kandidaten kommt es jetzt darauf an, diese Wähler zu mobilisieren. Es war die niedrigste Wahlbeteiligung seit mehr als 20 Jahren.

Im Falle eines Sieges will Bolsonaro die staatliche Ölgesellschaft Petrobras verkaufen und Schutzgebiete im Amazonas für den Bergbau öffnen. Lula dagegen möchte höhere Steuern für Reiche einführen, den Mindestlohn anheben und die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes stoppen.

Lula wurde vor der Wahl 2018 wegen Korruption und Geldwäsche zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er selbst nannte seine Verurteilung politisch motiviert. 2021 erhielt er sämtliche politischen Rechte zurück, nachdem der Oberste Gerichtshof die Urteile gegen ihn aufgehoben hatte.

Vor vier Jahren hatte Bolsonaro mit dem Versprechen gewonnen, die Korruption zu bekämpfen, die Arbeitslosigkeit zu senken und die Wirtschaft anzukurbeln. Damit zog er die Elite des Landes, Unternehmer, aber auch viele einfache Menschen auf seine Seite. Bolsonaro führt die Corona-Pandemie und Dürre in Brasilien als Gründe für die ökonomische Stagnation an.