Erfurt (epd). Betriebsräte können zur Kontrolle von Überstunden die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung am Arbeitsplatz nicht erzwingen. Da die Einführung solch eines Systems der Arbeitszeiterfassung gesetzlich verpflichtend ist, könne der Betriebsrat hierzu kein Mitbestimmungsrecht beanspruchen, entschied am Dienstag das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. (AZ: 1 ABR 22/21) Faktisch können damit nur die Arbeitsschutzbehörden eine Arbeitszeiterfassung in einem Betrieb durchsetzen.
Im Streitfall ging es um das Gut Neuhof, eine vollstationäre Eingliederungseinrichtung für behinderte und psychisch kranke Menschen in Petershagen im Kreis Minden Lübbecke. Der Betriebsrat verhandelte ab 2017 über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Die Geräte wurden zwar angeschafft, dann aber nicht verwendet.
Der Betriebsrat rief daraufhin die Einigungsstelle an, um die elektronische Zeiterfassung zu erzwingen. Mit dem System sollte die Vergütung der Überstunden gesichert werden.
Die Arbeitgeber meinten, dass dem Betriebsrat kein Initiativrecht zur Einführung einer Zeitarbeitserfassung zustehe. Zwar habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 14. Mai 2019 geurteilt, dass Arbeitgeber die gesamten Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten erfassen müssen, so dass Überstunden, Ruhe- und Höchstarbeitszeiten ermittelt und überprüft werden könnten (AZ: C-55/18). Im Streitfall gehe es aber nicht um Arbeitszeit-, sondern vielmehr um Mitbestimmungsfragen. Das Landesarbeitsgericht Hamm gab dem Betriebsrat recht.
Doch das Bundesarbeitsgericht hob diese Entscheidung auf. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bestehe nur, „wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich“ oder tariflich geregelt ist. Nach EU-Recht sei der Arbeitgeber aber gesetzlich verpflichtet, „die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen“. Damit sei ein Initiativrecht des Betriebsrates zur Einführung eines Arbeitszeitsystems ausgeschlossen, entschied das Bundesarbeitsgericht. Bislang hat der deutsche Gesetzgeber auf das EuGH-Urteil von 2019 indes noch nicht reagiert.
Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit leisteten die Arbeitnehmer in Deutschland 2021 im Durchschnitt 818,2 Millionen bezahlte und 893,1 Millionen unbezahlte Überstunden. Je Arbeitnehmer waren dies 20 bezahlte und 21,8 unbezahlte Überstunden im Jahr.