Bergen-Belsen (epd). Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hat die Deutschen aufgefordert, sich der schmerzvollen geschichtlichen Wahrheit über die NS-Verbrechen in den Konzentrationslagern zu stellen. Wer diese Wahrheit nicht sehen wolle oder gar leugne, handele nicht nur verantwortungslos, sondern stelle sich im Nachhinein auf die Seite der Täter, sagte Roth am Sonntag bei einer Gedenkzeremonie zur Befreiung des KZ Bergen-Belsen bei Celle vor 77 Jahren: „Bergen-Belsen war eine Folterstätte, eine Hölle eingerichtet von Menschen.“
Skrupellose nationalsozialistische Schergen hätten dort unschuldige Mitmenschen gequält und ermordet, erinnerte Roth. Wer diese Verbrechen vergessen wolle, bleibe der Vergangenheit ausgeliefert: „Wir blieben ahnungslos und wären verdammt zu wiederholen, wovor wir uns doch fürchten.“
An dem Gedenken nahmen rund 60 Überlebende aus 13 Ländern teil, dazu etwa 100 Angehörige. Die Überlebenden waren als Kinder im KZ Bergen-Belsen inhaftiert und sind heute zum großen Teil über 80 Jahre alt. Viele von ihnen wollten bereits zum 75. Jahrestag der Befreiung des Lagers am 15. April 2020 anreisen. Diese Feier war aber wegen der Corona-Pandemie mehrfach verschoben worden. Die Überlebenden kamen unter anderem aus Israel, Großbritannien, Frankreich, Kanada und Polen sowie aus den USA, der Schweiz und der Slowakei.
„Bergen-Belsen war die Endstation der deutschen Vernichtungsmaschinerie“, sagte Roth. Mit dem Rückzug der Wehrmacht aus den Todeslagern in Osteuropa seien viele KZ-Häftlinge immer weiter nach Westen getrieben worden. So hätten die Deutschen spätestens 1944 mitbekommen, was in den Lagern geschehen war: „Sie sahen die Elendsgestalten, die durchs Land zogen.“ Doch nur wenige hätten den Mut gehabt, ihnen wenigstens ein Stück Brot zuzustecken.
Bei der Befreiung des Lagers am 15. April 1945 hätten britische Soldaten Tausende zum Skelett abgemagerte todkranke Menschen sowie Leichen vorgefunden. All das sei auf Filmen festgehalten.
In Bergen-Belsen kamen insgesamt mehr als 52.000 KZ-Häftlinge und rund 20.000 Kriegsgefangene ums Leben. Zu den Todesopfern gehörte auch das jüdische Mädchen Anne Frank, deren Tagebuch weltbekannt wurde. Am kommenden Dienstag wollen der israelische Staatspräsident Jitzchak Herzog und seine Ehefrau Michal Herzog die Gedenkstätte besuchen. Sie werden von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender begleitet.
Herzogs Vater Chaim Herzog, der von 1983 bis 1993 ebenfalls israelischer Staatspräsident war, gehörte 1945 als britischer Offizier selbst zu den Soldaten, die das KZ Bergen-Belsen befreiten. Bei einem Besuch 1987 stiftete er einen Gedenkstein für die heutige Gedenkstätte.