München (epd). Aus Sicht des ehemaligen Präsidenten des israelischen Parlaments, Avraham Burg, sollte das deutsche Judentum wieder eine größere Rolle in den nationalen und internationalen Debatten spielen. Die heute in Deutschland lebenden Juden bildeten keine Gemeinschaft, schreibt der ehemalige Politiker der Arbeitspartei in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ (Freitag). Ihre Führung sei „kein Motor der Erneuerung“ und ihre Mitglieder „nehmen kaum an öffentlichen Debatten teil“, kritisierte Burg.
Mitbedingt durch den Traditionsabbruch infolge des Holocausts sei die einst große deutsche jüdische Kultur „der Idee eines örtlichen, auf sich selbst bezogenen Judentums“ sowie eines „ethnischen Nationalstaats“ gewichen. „Jedenfalls ist in Deutschland kaum noch etwas zu finden vom Erbe Walther Rathenaus und Martin Bubers, von Hannah Arendt und Nelly Sachs, von der Frankfurter Schule und Tausenden Intellektuellen, die den gesamten Westen prägten“, schreibt Burg.
Dabei sei Deutschland heute „die Front Europas und des Westens: ein Ort, an dem sich nationalistischer Fanatismus und ein neuer, nicht mehr christlicher europäischer Geist treffen, entsetzlicher alter Rassismus sowie neue, aufregende Toleranz“. In dieser Situation könnten deutsche Juden viel beitragen, etwa zur „christlich-jüdischen-muslimischen Integration“. Auch müsse verhandelt werden, ob Deutschland „weiter automatisch ein Verbündeter des jüdischen Staates sein“ werde, „der Millionen von Palästinensern alle politischen und demokratischen Rechte verweigert“.