Wien (epd). Die aktuelle Kirchenkrise ist nach Ansicht des Wiener Theologen Ulrich Körtner nicht nur eine Glaubwürdigkeitskrise, sondern auch eine Glaubenskrise. „Die gegenwärtige Sozialform der katholischen Kirche spielt für Austrittswillige nicht die Hauptrolle, wie eine neuere Studie zeigt“, heißt es in einem Gastbeitrag des Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien für die österreichische Wochenzeitung „Die Furche“ (Donnerstag). „Protestanten verlassen ihre Kirche trotz demokratischer Strukturen. Vielen Menschen sind Kirche und Religion einfach gleichgültig.“
Aus protestantischer Sicht halte er die Einschätzung, der katholische Reformprozess Synodale Weg könnte „im Ergebnis zu einer Protestantisierung der römisch-katholischen Kirche oder gar zu einer zweiten evangelischen Kirche führen“, für zu vordergründig, fügte Körtner hinzu. „Es geht im Kern nicht um eine zweite Reformation, sondern um eine katholische Reform.“ Konsequent zu Ende gedacht, könnte der Synodale Weg allerdings darauf hinauslaufen, dass neben der Altkatholischen Kirche und der römischen eine weitere katholische Kirche entsteht - „gewissermaßen eine deutsche Neuerfindung des Katholizismus“.
Es sei bemerkenswert, dass die im 19. Jahrhundert entstandene Altkatholische Kirche als Alternative zur römischen in der Kontroverse um den Synodalen Weg ignoriert werde, auch von Papst Franziskus, erklärte der Ökumene-Experte. Dabei seien die zentralen Reformforderungen der Verfechter des Synodalen Weges in der Altkatholischen Kirche längst verwirklicht.
So sehe es auch der frühere Generalvikar des katholischen Bistums Speyer, Andreas Sturm, der im Mai von seinem Amt zurückgetreten und zur Altkatholischen Kirche konvertiert ist. Die Altkatholische Kirche lehnt den Papst als oberste Autorität ab und ermöglicht Frauen die Priesterweihe.
Körtner: „Wer vordergründig eine Protestantisierung der römischen Kirche heraufziehen sieht oder vor dieser meint warnen zu müssen, sollte die gegenläufigen Tendenzen einer Katholisierung der evangelischen Kirchen nicht übersehen.“ Luthers Sündenlehre sei längst „in sozialpolitischen Aktionismus, in das Streben nach mehr Gerechtigkeit im Diesseits, umgeschlagen“, zitiert Körtner den Historiker Volker Reinhardt. Auch lasse sich laut Körtner mancherorts eine „Klerikalisierung der evangelischen Kirche“ beobachten, vom Outfit bis zum öffentlichen Rollenverständnis des Führungspersonals.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hatte den Synodalen Weg zusammen mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz 2019 ins Leben gerufen. Die fünfte und abschließende Synodalversammlung ist für 2023 geplant. Der Reformdialog beschäftigt sich mit den Themen Macht und Gewaltenteilung in der Kirche, Leben in gelingenden Beziehungen, Priesterliche Existenz heute und Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche.