Grafschaft (epd). Für die Opfer der Flut-Katastrophe an der Ahr gibt es laut der Psychiaterin und Psychotherapeutin Katharina Scharping viel zu wenige Psychotherapie-Plätze. „Das Angebot an psychotherapeutischer Hilfe kann die Nachfrage nicht decken“, sagte die Leiterin des Traumahilfezentrums für die Hochwasser-Betroffenen in Grafschaft dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei wachse ein Jahr nach der Katastrophe immer noch die Zahl der Menschen, die psychologische Unterstützung bräuchten. „Ich glaube, da ist der Gipfel noch nicht erreicht.“
Die Kapazitäten des Traumahilfezentrums in Grafschaft-Lantershofen stießen mittlerweile an ihre Grenzen, sagte Scharping. Auf ein Einzelgespräch müssten die Menschen inzwischen vier bis fünf Wochen warten. Das Zentrum wurde im vergangenen Dezember eingerichtet, um Betroffenen rasche psychologische Hilfe zu ermöglichen. Seitdem bekamen dort mehr als 1.100 Menschen Unterstützung durch Einzelgespräche oder Gruppenangebote. Betroffene können maximal fünf Einzeltermine bekommen. Viele bräuchten aber nach dieser Ersthilfe auch noch eine langfristige Psychotherapie, sagte Scharping: „Hier ist es nach wie vor ein Problem, dass die Anschlussbehandlung kaum zu organisieren ist.“
Wegen der langanhaltenden und zermürbenden Ausnahmesituation litten die Menschen vermehrt unter Burn-out, Erschöpfung, Überbelastung und Ängsten, berichtete Scharping. Die Therapeutinnen und Therapeuten im Traumahilfezentrum erlebten auch Menschen, die aufgrund ihrer Situation resigniert und depressiv, aber zunehmend auch ärgerlich und angespannt seien. „Viele leiden darunter, dass es für sie nicht weitergeht“, beobachtete sie. Ein Jahr nach der Flut warteten viele Betroffene wegen bürokratischer Hürden und Handwerkermangels immer noch auf Hilfsgelder. Ihre ungewisse Lebenssituation lasse viele Menschen nicht zur Ruhe kommen.
Unter Flut-Opfern habe sich auch die Sorge verbreitet, dass das Schicksal des Ahrtals angesichts neuerer Krisen zunehmend in Vergessenheit gerät. „Als der Krieg in der Ukraine begann, ist die Angst hochgekocht“, sagte Scharping. So gebe es etwa Befürchtungen, dass Helfer aus dem Ahrtal für die Flüchtlingshilfe abgezogen würden.
Der bevorstehende Jahrestag der Flutkatastrophe am 14. Juli löse bei vielen Betroffenen Ängste aus, beobachtet Scharping, die auch Chefärztin in der Dr. von Ehrenwall'schen Klinik in Bad Neuenahr-Ahrweiler ist. „Die wollen so wenig wie möglich von dem Tag mitbekommen, sondern lieber wegfahren oder zu Hause bei ihrer Familie sein.“ Dennoch seien die Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Flut wichtig. „Denn sonst würde das die Sorge, vergessen zu werden, noch größer werden lassen.“