Berlin, Genf (epd). Angesichts der russischen Blockade der humanitären Hilfe für Nordwest-Syrien warnen die UN und Hilfsorganisationen vor einer humanitären Katastrophe. Ohne die grenzüberschreitenden Lieferungen würden viele Menschen keine Nahrung, keine Unterkunft, keine medizinische Versorgung, keine Impfstoffe und keinen Schutz haben, sagte Jens Laerke, Sprecher des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Montag in Genf. „Das wird Menschenleben kosten.“ Derweil warf die Bundesregierung Russland ein „zynisches Spiel“ im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zulasten der hilfsbedürftigen Menschen in Syrien vor.
Russland hatte am Freitag im UN-Sicherheitsrat die einjährige Verlängerung der grenzüberschreitenden Hilfe für die Bevölkerung im Nordwesten Syriens blockiert und stattdessen eine Verlängerung der Transporte lediglich um sechs Monate vorgeschlagen. Dieser Vorstoß scheiterte jedoch am Widerstand der anderen Mitglieder des UN-Gremiums.
Laut der Argumentation Russlands muss die Regierung Syriens unter Präsident Baschar al-Assad die Lieferungen beaufsichtigen. Bislang erfolgten sie aber über einen Grenzübergang aus der Türkei in ein Gebiet, über das Assad keine Kontrolle hat. Das bisherige Mandat lief am Sonntag aus. Hilfsorganisationen befürchten, dass das syrische Regime die Hilfe politisch instrumentalisieren könnte, wenn sie über das von ihm kontrollierte Gebiet abgewickelt wird.
Laerke sagte, die grenzüberschreitenden Transporte seien eine Lebensader für mehr als vier Millionen Menschen. „Wir fordern daher eine Verlängerung der grenzüberschreitenden Operation aus der Türkei um zwölf Monate.“ Eine Verlängerung um sechs Monate sei zwar ein „unzureichender Kompromiss, aber besser als gar keine Verlängerung“.
Auch die Bundesregierung kritisierte Russland für die Blockade der Hilfe. Das Veto habe gezeigt, „dass wir nicht davon ausgehen können, dass Russland sein zynisches Spiel aufgibt, humanitäre Hilfe für Zivilisten als Verhandlungsmasse einzusetzen“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Die Gespräche im UN-Sicherheitsrat dauerten weiter an. Noch gebe es Hoffnung, wieder zu einer Vereinbarung zu kommen.
Derweil sprach Till Küster von der Hilfsorganisation medico international von einem „grandiosen Scheitern des UN-Sicherheitsrates“. Sollte sich das Gremium nicht doch noch einigen, werde die Lage für die Menschen in der Region noch schlimmer als bisher, sagte der Leiter der Abteilung für transnationale Kooperation dem epd. „In der Region leben 90 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze, eine medizinische Versorgung gibt es nicht.“ In den Flüchtlingscamps würden den Geflohenen im Herbst und Winter ihre Zelte weggespült. Über den Hilfskorridor hätten die UN vielen Menschen zumindest eine rudimentäre Grundversorgung bringen können.
Es gebe auch andere Wege außerhalb dieses Korridors. Das seien aber kommerzielle Wege, wo Zölle gezahlt werden müssten und auch Hilfe nicht in dem Umfang geliefert werden könne, wie über die UN-Transporte. Küster wirft auch der EU Versagen vor. Sie habe es nicht geschafft, entsprechenden politischen Einfluss zu nehmen.
Die Frankfurter Hilfsorganisation medico international unterstützt ein Frauenzentrum in Idlib-Stadt und ist auch in der humanitären Arbeit sowie bei der Alphabetisierung von Frauen und Kindern in den Flüchtlingslagern tätig. „In der Region herrscht eine permanente Ausnahmesituation“, sagte Küster, auch weil die Menschen immer noch beschossen würden.