Brandenburg an der Havel (epd). Im NS-Prozess gegen einen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen ist der 101-jährige Angeklagte wegen Beihilfe zum Mord zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Josef S. habe mit seinem Dienst im Konzentrationslager „Terror und Massenmord gefördert“, sagte der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann bei der Urteilsverkündung am Dienstag in Brandenburg an der Havel. Dies sei ihm auch bewusst gewesen. Mit seiner Wachtätigkeit habe er die NS-Verbrechen in Sachsenhausen bereitwillig unterstützt. Der Verteidiger, der Freispruch beantragt hatte, kündigte Revision zum Bundesgerichtshof an. (Az.: 11 Ks 4/21)
Bei Zeitzeugen stieß das Urteil auf Zustimmung. Auch der Antisemitismusbeauftragte und der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung, der Zentralrat der Sinti und Roma und weitere Stimmen begrüßten den Richterspruch. Diejenigen, die in den NS-Konzentrationslagern gearbeitet haben, hätten „die Mordmaschinerie am Laufen gehalten“, betonte etwa der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster: „Sie waren Teil des Systems, daher sollen sie dafür auch Verantwortung übernehmen.“
Für die Überlebenden und ihre Angehörigen sei das Urteil eine späte Genugtuung, sagte der Geschäftsführer des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit der Urteilsbegründung sei das Gericht seiner Verantwortung gerecht geworden und habe Justizgeschichte geschrieben. Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum sagte dem epd, er hoffe, Josef S. werde wenigstens einige Zeit ins Gefängnis kommen.
Von dem Urteil gehe auch das wichtige Signal aus, dass der Rechtsstaat die Unrechtmäßigkeit der Taten des KZ-Wachmannes erkannt habe, sagte die Leiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen, Astrid Ley. Nebenklagevertreter Thomas Walther, früher Chefermittler der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, sagte, er sei mit dem Ergebnis „sehr, sehr zufrieden“.
Das Landgericht Neuruppin verurteilte Josef S. auch wegen Beihilfe zum versuchten Mord und folgte mit dem Strafmaß dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Das Gericht halte fünf Jahre Haft für „tat- und schuldangemessen“, sagte Lechtermann. Eine wirklich gerechte Strafe könne es für das Leid, das Menschen durch die NS-Verbrechen zugefügt wurde und für das auch die „Hölle von Sachsenhausen“ stehe, jedoch nicht geben.
Josef S. war wegen Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in mehr als 3.500 Fällen angeklagt. Den Ermittlungen zufolge war er zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 als SS-Mann in Sachsenhausen im Einsatz, zunächst zur Ausbildung und ab Anfang 1942 auch im regulären Dienst als Wachmann. Er selbst hat dies in dem rund neun Monate währenden Verfahren wiederholt bestritten.
Dies habe ihm das Gericht jedoch „nicht abgenommen“, sagte Lechtermann. Sein KZ-Wachdienst sei nahezu lückenlos dokumentiert. Ob er nicht nur Beihilfe zum Massenmord geleistet habe, sondern auch Täter gewesen sei, habe nicht mehr festgestellt werden können, obwohl dem historischen Gutachter zufolge einiges dafür spreche.