Gießen (epd). Der Krieg gegen die Ukraine hat nach Aussage des Gießener Agrarwissenschaftlers Martin Petrick gravierende Auswirkungen auf die weltweite Lebensmittelversorgung. „Ich rechne vor allem mit einer starken Verschlechterung der Ernährungssituation in den ärmeren Ländern der Welt“, sagte Petrick in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Ukraine gelte zu Recht als „Kornkammer der Welt“. Durch den Krieg könne jedoch in diesem Jahr auf 20 bis 30 Prozent der Anbauflächen nicht produziert werden.
Es gebe zudem Berichte, dass die russische Armee gezielt Produktionsstätten zerstöre, auch sei von „Diebstahl von Erntegut“ die Rede. Getreidevorräte in der Ukraine, die es durchaus gebe, könnten nicht transportiert werden, da die Seehäfen teilweise zerstört oder blockiert seien. „Die Europäer bemühen sich, Transportwege zu erschließen. Das könnte zu Entspannung führen“, erklärte der Professor für Agrar-, Ernährungs- und Umweltpolitik.
Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO sei es „zu nie dagewesenen Preissteigerungen“ bei Lebensmitteln gekommen. „Das setzt allerdings den Trend der letzten Jahre fort“, betonte Petrick. Die Corona-Pandemie habe zu einer Unterbrechung von Lieferketten geführt, die Preise für Dünger seien gestiegen, es gebe eine Konkurrenz durch Bio-Kraftstoffe, die auf landwirtschaftlichen Flächen angebaut werden.
Europa sei allerdings nicht von einer Nahrungsmittelknappheit bedroht. „Die EU kann sich um ein vielfaches selbst versorgen.“ Bemerkbar machten sich allerdings die gestiegenen Preise für Lebensmittel, die Petrick zufolge wahrscheinlich noch weiter steigen werden. „Aber echte Knappheiten sind nicht zu erwarten.“
Anders sehe es in einigen Ländern im Nahen Osten und Südasien aus, beispielsweise Libanon, Jemen, Ägypten oder Indonesien. Bisher existierten nur „Einzelfallberichte“ über Lebensmittelknappheiten in den ärmeren Ländern. „Aber ich erwarte politische Reaktionen im Sinne von Unruhen und Protesten.“
Es gebe Lösungen, jedoch: „Wir müssen erkennen, dass ein wirksamer Ansatz zur Bekämpfung der Krise politisch schwer umsetzbar ist: Dass Verbraucher im Westen ihre Ernährungsgewohnheiten umstellen müssen.“ Das heiße: weniger Fleisch essen, weniger wegwerfen, die Qualität in den Blick nehmen „statt viel und billig“.
Das komme auch anderen Problemen zugute und helfe zum Beispiel gegen den Klimawandel. Der Krieg und seine Folgen führten der Welt ihre Verwundbarkeit vor Augen, sagte der Wissenschaftler. „Wenn wir dieser Situation etwas abgewinnen können, dann ist es das: Wir müssen erkennen, dass wir mit unseren endlichen Ressourcen sorgsam umgehen müssen.“