Brandenburg an der Havel, Lindenberg (epd). Ein Nebenklage-Vertreter im NS-Prozess gegen einen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen hat der Justiz vorgeworfen, ihren Pflichten nicht nachgekommen zu sein. Die deutsche Rechtsprechung habe pflichtvergessen Zeit „verplempert“, beklagte der Anwalt Thomas Walther am Mittwoch in Lindenberg. Der „Blick auf das Wesentliche“ könne dagegen ein einfacher Weg des Rechts sein, sagte er mit Blick auf die seit den 70er Jahren bestehenden Erkenntnisse der Stasi über die NS-Vergangenheit des 101-jährigen Angeklagten. (AZ: 11 Ks 4/21)
Der aktuelle Prozess vor dem Landgericht Neuruppin sei ein „Lehrstück über Verbrechen, Geschichte, Politik, Justiz und Justizgeschichte“, fügte Walther hinzu. Der Nebenklageanwalt war Chefermittler der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen.
Die Staatsanwaltschaft hatte am Vortag eine fünfjährige Haftstrafe für den Angeklagten gefordert. Es gebe keinen Zweifel, dass Josef S. als SS-Mann in Sachsenhausen tätig war, sagte Staatsanwalt Cyrill Klement in seinem Plädoyer. Der Prozess findet nicht in Neuruppin, sondern in der Nähe des Wohnortes des Angeklagten in Brandenburg an der Havel statt, weil Josef S. laut Gutachter nur wenige Stunden am Tag verhandlungsfähig ist.
Die Staatsanwaltschaft wirft Josef S. Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in mehr als 3.500 Fällen vor. Der Angeklagte war den Ermittlungen zufolge in der Zeit zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 SS-Wachmann in Sachsenhausen. Der in Litauen geborene Baltendeutsche bestreitet dies.