Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als „Epochenbruch“ bezeichnet. „Dieser Krieg ist ein Bruch mit vielem, was uns als selbstverständlich galt. Er ist ein Epochenbruch“, sagte Steinmeier anlässlich des 77. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai bei der Eröffnung des Bundeskongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am Sonntag in Berlin. Der Traum des gemeinsamen europäischen Hauses sei gescheitert und ein Albtraum an seine Stelle getreten. „Dieser 8. Mai ist ein Tag des Krieges.“
Russlands Präsident Wladimir Putin zerstöre damit „endgültig die Grundlage der europäischen Friedensordnung“, gebaut aus territorialer Souveränität, freier Bündniswahl und Gewaltverzicht, „unterschrieben von Moskau im Pariser Vertrag“. Der Angriff auf die Ukraine sei „auch ein Angriff auf die Idee der liberalen Demokratie und auf die Werte, auf denen sie gründet: Freiheit, Gleichheit, die Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde“, sagte Steinmeier.
Der Bundespräsident verurteilte das Vorgehen Putins aufs Schärfste. „Wenn er von Faschismus spricht, von 'Entnazifizierung', dann lügt er“, sagte der Bundespräsident. Dies sei „eine so perfide wie zynische Verdrehung der Geschichte“. Wenn der russische Präsident am 9. Mai den Kampf gegen den Nationalsozialismus gleichsetze „mit seinem brutalen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine“, dann sei „auch das ein perfider und zynischer Missbrauch der Geschichte“. Unter dem Vorwand der Entnazifizierung lasse Putin „sogar Menschen töten, die schon einmal durch die Hölle gegangen sind: auch viele Überlebende des Holocaust. Welche Barbarei!“.
„Unsere Antwort ist eindeutig und klar: Wir stehen an der Seite der Ukraine, aus voller Überzeugung und mit ganzem Herzen, gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn“, betonte der Bundespräsident. Die Europäer dürften sich „nicht noch einmal auseinandertreiben lassen durch aggressiven Nationalismus und Völkerhass“, auch dies sei eine Lehre des 8. Mai 1945.
„Dieser Krieg zwingt uns zu schmerzhaften Einsichten: Wir waren uns zu sicher, dass Frieden, Freiheit, Wohlstand selbstverständlich sind“, sagte Steinmeier und gestand eine eigene Fehleinschätzung ein: „Und ja, auch ich habe nicht für möglich gehalten, dass der russische Präsident am Ende in seinem imperialen Wahn den politischen, wirtschaftlichen und moralischen Ruin des eigenen Landes in Kauf nehmen könnte.“
Die Wehrhaftigkeit der Demokratie werde „nicht nur in Sonntagsreden und auch nicht nur als politische Kultur, demokratisches Selbstbewusstsein und Engagement“ gebraucht, mahnte Steinmeier. „Wir brauchen auch moderne Streitkräfte und eine besser ausgerüstete Bundeswehr“, betonte er. Außenpolitik und Diplomatie würden auch in Zukunft gebraucht werden. „Aber wer zur Vermeidung künftiger Konflikte auf Diplomatie und Verhandlungen setzt, der muss wissen: Verhandlungen lassen sich nicht aus einer Position der Schwäche führen.“ Erfolgreich verhandeln lasse sich nur aus einer Position der Stärke. „Diesen Willen zur Stärke müssen wir haben und zeigen“, forderte Steinmeier.