"Die Gemeinde lebt für die Passion"

"Die Gemeinde lebt für die Passion"
Spielleiter Stückl: Oberammergauer hat das Passionsfieber gepackt
Alle zehn Jahre wird es aufregend im bayerischen Oberammergau. Dann besuchen Hunderttausende Menschen aus dem In- und Ausland die Passionsspiele, das weltberühmte Schauspiel mit rund 2.000 Laiendarstellern. Am 14. Mai ist Premiere.
04.05.2022
epd
Von Brigitte Bitto (epd)

Oberammergau (epd). Vor wenigen Wochen glaubten viele noch nicht daran, dass die Passionsspiele in diesem Jahr tatsächlich stattfinden. Doch nachdem das weltberühmte Schauspiel 2020 pandemiebedingt um zwei Jahre verschoben wurde, steht die Premiere am 14. Mai tatsächlich bevor. Als eines der ersten internationalen Großereignisse starten die Passionsspiele Oberammergau ohne Corona-Beschränkungen - die Zuschauer brauchen keine Masken oder Tests, sagte Spielleiter Christian Stückl bei der zentralen Pressekonferenz am Mittwoch. Aktuell seien rund drei Viertel der insgesamt 450.000 Karten verkauft.

Die Passionsspiele gehen auf ein Pestgelübde von 1633 zurück, finden nur alle zehn Jahre statt und erzählen die Geschichte vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu. Traditionell steht bei dem Laienspiel die Hälfte der Einwohner des 5.000-Seelen-Ortes auf der Bühne. Geplant sind 103 Vorstellungen, 4.200 Zuschauer dürfen pro Veranstaltung ins Theater nach Oberammergau. Erstmals finden in diesem Jahr am 7. und 8. Mai auch Jugendtage statt.

Das Passionsfieber habe nun alle wieder gepackt, sagte Stückl. Dennoch sei in diesem Jahr nichts wie vorher: Rund 300 Mitwirkende seien nach 2020 ausgestiegen, weil sie sich nicht noch einen Sommer hätten freinehmen können. Auch wisse man nicht, wie viele Besucher letztlich kommen oder welche Auswirkungen der Ukraine-Krieg oder die Corona-Pandemie noch haben werden.

Die Gemeinde Oberammergau lebe durch und für die Passion, ergänzte Bürgermeister Andreas Rödl. Er freue sich riesig, dass die Spiele nach der langen Zeit des kulturellen Lockdowns stattfinden können - „und wir als eine der ersten internationalen Großveranstaltungen viele Gäste aus der ganzen Welt bei uns willkommen heißen dürfen“.

Erstmals übernimmt in diesem Jahr ein Muslim eine Hauptrolle. Der Oberammergauer Cengiz Görür feiert als Judas sein Debüt in einer tragenden Rolle. Er frage seine Schauspieler nicht, woran und wie viel sie glauben, sagte Stückl. Inzwischen spielten Oberammergauer mit, die aus der Kirche ausgetreten sind oder evangelisch oder muslimisch seien. Auch Frauen hätten inzwischen die gleichen Rechte wie Männer, sagte Stückl. Vor 1990, als er erstmals die Spiele geleitet hatte, sei das noch keine Selbstverständlichkeit gewesen.

Er selbst sei noch Mitglied der katholischen Kirche und stark katholisch sozialisiert, sagte Stückl. „Das Katholische ist einfach in mir drin“, sagte er. Doch auch er habe gerade in der letzten Zeit große Schwierigkeiten mit Vorkommnissen in der Kirche. „Ich bin ein Zweifler“, sagte der Spielleiter. Und mal glaube er mehr, mal weniger.

Walter Rutz, Geschäftsführer der Passionsspiele Oberammergau Vertriebs GmbH & Co. KG, sagte, dass aktuell rund drei Viertel der insgesamt 450.000 Karten verkauft seien. Das Interesse im deutschen Markt sei spürbar, auch die Nachfrage aus Übersee sei ungebrochen. Zu den Hauptmärkten zählten weiterhin die USA, wohin rund ein Drittel der bereits verkauften Tickets gegangen seien, sowie Großbritannien und Skandinavien.

Beim Text der Spiele habe Stückl mittlerweile „quasi freie Hand“, sagte er. Statt theologische Diskurse ins Zentrum zu stellen, sei Jesus diesmal an den Grenzen der Gesellschaft, bei den Armen, bei den Flüchtlingen, nah am Menschen. Bei der diesjährigen Bearbeitung des Textes habe er fast das Gefühl gehabt, sagte Stückl, Jesus verzweifle manchmal an dieser Welt.

Auch Bühnenbild und Kostüme hätten sich im Vergleich zum letzten Mal deutlich verändert. Statt verschiedener Orte gebe es nun eine Tempelanlage als Gesamtbühne, berichtete Stefan Hageneier, Leiter des Bereichs „Bühne und Kostüme“. Alles wirke düsterer. Bei der Musik sei ebenfalls vieles neu, sagte der musikalische Leiter Markus Zwink. Alles sei „fließender“ geworden.

Die beiden christlichen Kirchen im Ort haben rund um die 42. Passionsspiele, die bis 2. Oktober dauern, ein Rahmenprogramm organisiert. Vor der Premiere findet um 11 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst mit Kardinal Reinhard Marx und dem bayerischen evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm im Passionstheater statt.