Gauck warnt Deutschland vor "Ängstlichkeit"

Gauck warnt Deutschland vor "Ängstlichkeit"

Leipzig (epd). Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat Deutschland mit Blick auf den Ukraine-Krieg zu Selbstbewusstsein und einer aktiven Rolle aufgefordert. Drohungen russischer Politiker etwa seien nach seiner Einschätzung „eine sehr bewusst eingesetzte Strategie, die besonders in der Mitte Europas verfängt“. Deutschland habe eine „besondere Neigung zur Ängstlichkeit“, so wie es früher „eine besondere Neigung zum Übermut“ hatte, sagte Gauck am Donnerstagabend in Leipzig.

Diese „besondere Neigung zur Ängstlichkeit“ äußere sich manchmal in einer Zurückhaltung, „wo wir nicht zurückhaltend sein dürften“, sagte Gauck. Wenn Menschen Opfer von Gewalt würden, dürfe es keine Zurückhaltung geben. Vielmehr müssten alle verantwortlichen Möglichkeiten gesucht werden, um diesen Menschen beizustehen. Das ehemalige Staatsoberhaupt äußerte sich bei einer Talkveranstaltung des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) im Haus der „Leipziger Volkszeitung“.

Mit Blick auf die Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine betonte der frühere Rostocker Pastor, die dort lebenden Menschen fragten nach diesen Waffen, um sich zu verteidigen. Es wäre „zynisch“, hier für diese Menschen zu entscheiden, keine Waffen zu liefern, um den Krieg vermeintlich nicht zu verlängern.

In der Diskussion um die frühere Ostpolitik unterschied der 82-Jährige zwischen zwei groben Phasen. Die zweite Phase der Öffnung und der Entspannungspolitik dürfe heute „nicht in Bausch und Bogen abgelehnt werden“. Die Öffnung sei positiv gewesen, heute brauche es jedoch eine differenzierte Betrachtung der Ostpolitik. Den Angriff Russlands auf die Ukraine vom 24. Februar nannte der evangelische Theologe eine Aggression, die „unglaublich bösartig und unprovoziert“ sei.

Gauck bekräftigte seine Ansicht, dass ein so großes und wirtschaftlich starkes Land wie Deutschland nicht umhinkomme, Führungsverantwortung in der Welt zu übernehmen. Dies könne Deutschland aber nicht allein, sondern brauche etwa Frankreich an seiner Seite. Auch mit dem benachbarten Polen müsse „über die Weltlage“ gesprochen werden.