Bergen-Belsen (epd). Die Holocaust-Überlebende Anastasia Gulej hat am Freitagabend bei einer Gedenkveranstaltung zum 77. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen gesprochen. „Möge euer Land nie wieder einen Krieg erleben“, sagte die 96-Jährige, die Anfang März aus ihrer Heimatstadt Kiew fliehen musste und von Freunden in Deutschland untergebracht wurde. Gulej nahm auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Bergen-Belsen an der Veranstaltung „Lichter auf den Schienen“ teil. Knapp 100 Besucherinnen und Besucher waren gekommen.
An der „Verladerampe“ bei Bergen kam Anfang Januar 1945 auch die 19-Jährige Anastasia Gulej an, mit einem Frauentransport politischer Häftlinge aus dem KZ Auschwitz ins Lager Bergen-Belsen. Sie hatte zu der Zeit Gelbsucht. Bis zur Befreiung des Lagers vergingen noch gut vier Monate. „Das scheint aus heutiger Sicht eine kurze Zeitspanne zu sein“, sagte Gulej. „Aber ich kann keine einzige Minute vergessen, die ich hier mit dem Warten auf den Tod verbracht habe.“ Als britische Truppen das KZ am 15. April 1945 befreiten, „hatte ich nicht mal genug Kraft, um Freude zu verspüren“.
Die Zeitzeugin sprach russisch, eine Dolmetscherin übersetzte ihre Rede. Dass sie nun erneut vor einem Krieg fliehen musste, mache sie fassungslos, sagte Gulej. „Mir fehlen die Worte für den Genozid an den Ukrainern, für das, was die Hitler-Verehrer aus dem Kreml in Butscha und Mariupol angerichtet haben.“
Der Teil der Rampe, an dem die Gedenkfeier stattfand, wurde im Jahr 2000 auf Antrag der AG Bergen-Belsen unter Denkmalschutz gestellt. 2002 konnte die AG dort einen Waggon als Mahnmal aufstellen. Hier begann damals der Marsch der erschöpften Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge, die unter scharfer Bewachung sechs Kilometer zu Fuß ins Lager getrieben wurden. „Bergen-Belsen war die Endstation für Häftlinge aus allen anderen KZs“, sagte Elke von Meding, Vorsitzende der AG. „Man dachte, der Feind kommt hier nicht so schnell her.“
Die ehemalige Lehrerin der Anne-Frank-Schule in Bergen hatte die Veranstaltung „Lichter auf den Schienen“ 1995 ins Leben gerufen, um an das Schicksal der Häftlinge zu erinnern: „Man kann hier nicht wohnen, ohne darüber nachzudenken, was damals geschehen ist.“