Mainz (epd). Der Krisenforscher Frank Roselieb hat den Verantwortlichen in Rheinland-Pfalz in der Ahrtal-Flutkatastrophe schwere Versäumnisse und „kommunikatives Chaos“ bescheinigt. Die Bevölkerung der Region sei viel zu spät vor dem drohenden Ausmaß des Unwetters gewarnt worden, sagte der Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung am Freitag im Ahrtal-Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags. Neben dem damaligen Landrat Jürgen Pföhler (CDU) sieht Roselieb auch die ehemalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) in der Verantwortung. Bei der Flutwelle im Juli 2021 waren im Ahrtal 134 Menschen ums Leben gekommen.
Der per Videoschalte angehörte Experte kritisierte unter anderem, dass Medien nicht viel früher aufgerufen worden seien, vor der drohenden Katastrophe zu warnen. Eine Pressemitteilung des für Hochwasserschutz zuständigen Mainzer Umweltministeriums vom Nachmittag der Flut habe sich „eher wie eine Werbemitteilung“ gelesen: „Das Wort Ahr tauchte darin gar nicht auf.“ Dieses Vorgehen sei „absolut kontraproduktiv“ gewesen. Bei drohenden Unwettern in Norddeutschland würden Sturmflutwarnungen hingegen regelmäßig in Dauerschleife gesendet.
Roselieb kritisierte, dass in Rheinland-Pfalz im Unterschied zu einer Reihe anderer Bundesländer keine Möglichkeit besteht, einen Katastrophenvoralarm auszurufen. Dies hätte sowohl die Bevölkerung und insbesondere die ehrenamtlich tätigen Feuerwehrleute für die drohende Gefahr sensibilisieren können.
Für die Landesregierung sei allerdings am Abend des 14. Juli nicht sofort erkennbar gewesen, dass der Krisenstab im Landkreis Ahrweiler keine Kontrolle mehr über die Lage hatte, sagte der Krisenforscher. Der damalige Landrat Jürgen Pföhler (CDU) hatte die Einsatzleitung an einen Untergebenen abgetreten und erst kurz vor Mitternacht den Katastrophenalarm ausgelöst. „Da hört niemand mehr Radio, niemand sieht mehr Laufbänder im Fernsehen“, sagte Roselieb.
Die auch für Katastrophenschutz zuständige Aufsichtsbehörde ADD hatte nach Aussage des Präsidenten Thomas Linnertz und seines für Katastrophenschutz zuständigen Referatsleiters Heinz Wolschendorf erst im Laufe des 15. Juli, am Tag nach der Flut, Kenntnis vom Ausmaß der Zerstörungen. Anfangs sei nicht erkennbar gewesen, dass die Lage im Ahrtal noch wesentlich dramatischer war als in anderen Teilen der Eifel. Dem Kreis sei dann angeboten worden, die Einsatzleitung zu übernehmen, dies sei aber zunächst abgelehnt worden, sagte Linnertz.
Später am Freitagabend sollten auch Innenminister Roger Lewentz und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (beide SPD) zum Geschehen befragt werden. Nach der Befragung der damaligen Umweltministerin Spiegel hatte die Landtagsopposition Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, die heutige Bundesfamilienministerin wegen ihrer passiven Rolle in der Fluchtnacht zu entlassen. Der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe an der Ahr soll das Geschehen vom Eintreffen erster Starkregenwarnungen am 10. Juli bis zum Abschluss der Rettungsarbeiten rekonstruieren.