Brandenburg an der Havel (epd). Im NS-Prozess gegen einen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen vor dem Landgericht Neuruppin hat die Verteidigung beantragt, fünf ehemalige SS-Männer als Zeugen zu laden. Die Männer, die selbst in Sachsenhausen im Einsatz gewesen seien, sollen dort aussagen, dass der Angeklagte in der fraglichen Zeit nicht dort gearbeitet habe und sie ihn dort nicht gesehen hätten, sagte Anwalt Stefan Waterkamp am Donnerstag bei der Verhandlung in Brandenburg an der Havel.
Das Gericht will am Freitag über den Antrag entscheiden. Sollte der Antrag abgelehnt werden, folgt am Freitag das Plädoyer der Staatsanwaltschaft. (Az.: 11 Ks 4/21)
Waterkamp sagte am Rande des Prozesses, er habe zwar keinen Kontakt zu den fünf früheren SS-Männern, die bereits selbst Gegenstand von Ermittlungsverfahren gewesen seien. Es lägen jedoch auch keine Informationen vor, dass sie inzwischen gestorben oder verhandlungsunfähig seien. Rechtsanwalt Thomas Walther, der in dem Verfahren mehrere Nebenkläger vertritt, kritisierte, der Beweisantrag ziele darauf, dass die Zeugen bekunden sollen, dass der Angeklagte nicht in Sachsenhausen gewesen sei. Es sei jedoch kaum möglich, eine solche „Nicht-Tatsache“ zu bestätigen.
Sollte der 101-jährige Angeklagte Josef S. verurteilt werden, müsse er voraussichtlich auch ins Gefängnis, sagte Walther: „Wenn jemand haftfähig ist, wird er auch in Haft kommen.“ Im Zweifelsfall sei auch eine Unterbringung in einem Haftkrankenhaus möglich. Verteidiger Waterkamp sagte am Rande der Verhandlung, der Prozess zeichne insgesamt ein sehr belastendes Bild. „Die Beweislage ist schon erdrückend“, sagte er. Es handle sich jedoch um einen Indizienprozess, der vor allem auf alten Dokumenten und anderen Unterlagen beruhe.
Josef S. bestritt bei der Verhandlung erneut, in Sachsenhausen gewesen zu sein. „Ich war nicht in einer Kompanie“, sagte er: „Mir ist alles, alles unbekannt.“ Er sage die Wahrheit. „Juden sind gute Menschen“, sagte der Angeklagte. Was mit ihnen in den Lagern geschehen sei, habe man damals gewusst. Er habe jedoch in der Landwirtschaft gearbeitet, nicht im Konzentrationslager.
Zahlreiche Dokumente weisen jedoch auf eine Tätigkeit bei der SS in Oranienburg hin, darunter private Unterlagen aus der Familie. Es sei „historisch eindeutig“, dass sich dies auf das KZ Sachsenhausen beziehe, sagte der Sachverständige Stefan Hördler. Der Historiker hatte zuvor an zahlreichen Verhandlungstagen detailliert zu NS-Verbrechen und Alltag in Sachsenhausen und anderen Konzentrationslagern berichtet.
Die Staatsanwaltschaft wirft Josef S. Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in mehr als 3.500 Fällen vor. Den Ermittlungen zufolge war er in der Zeit zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 SS-Wachmann in Sachsenhausen. Der in Litauen geborene Baltendeutsche lebte nach Zweitem Weltkrieg und Kriegsgefangenschaft in der DDR. Das Strafmaß für Beihilfe zum Mord liegt bei drei bis 15 Jahren. Im Fall einer Verurteilung ist deshalb eine Bewährungsstrafe nicht möglich. Ein Urteil könnte nach bisheriger Planung am 29. April verkündet werden.