Berlin (epd). Die Heinrich-Böll-Stiftung fordert eine umfassende gesellschaftliche Debatte zur Wahrung von sozialer Sicherheit und Zusammenhalt im gesellschaftlichen Wandel. „Das Drehen an einer Schraube ist zu wenig“, sagte die Stiftungsvorsitzende Ellen Ueberschär bei der Vorstellung des „Sozialatlas 2022“ am Mittwoch in Berlin. Der Atlas biete eine gute Grundlage für eine Debatte auf der Höhe der Zeit. Der Bericht beleuchte unter anderen die Themen Sozialstaat, Chancen, Sicherheit und Wandel.
Obwohl der deutsche Sozialstaat leistungsfähig sei und zu einer abgesicherten Gesellschaft beitrage, gebe es deutliche Ungleichheiten, sagte Ueberschär: „Das Anliegen des Sozialatlas ist, genau zu zeigen, was diese Komplexität des Sozialen ausmacht.“ Strukturelle Probleme, wie eine ausgeprägte relative Armut und strukturell bedingte Lebensrisiken, beispielsweise für Alleinerziehende, seien über Jahrzehnte gewachsen. „Unsere Botschaft ist: Einfache Lösungen sind nicht zu haben“, sagte die Theologin.
Deshalb müssten die 2020er-Jahre ein Jahrzehnt der Veränderung und Modernisierung werden. „Zukunftsfragen müssen angepackt und gelöst werden“, heißt es im „Sozialatlas“. Dafür brauche es einen sozial gerechten, ausgewogen und abgesicherten Umbau der Gesellschaft. Dabei müssten unter anderem neue Lebensentwürfe sowie die Alterung der Gesellschaft berücksichtigt werden. Der Atlas solle nicht nur Expertinnen und Experten, sondern auch Bürgerinnen und Bürger zu einer Debatte befähigen, sagte Ueberschär.
Der Leiter des Bereichs Inland der Stiftung, Sebastian Bukow, sagte, die soziale Frage sei die entscheidende Frage der jetzigen Zeit. Das Soziale in Deutschland sei „ein wenig in die Jahre gekommen“ und entspreche nicht mehr den Erwartungen. „Wir brauchen einen Staat, der zur Gesellschaft passt“, sagte Bukow.
Um eine Debatte anzuregen, solle der Sozialatlas vermitteln, wie Fakten einzuordnen seien, die sich in Diskussionen um die soziale Frage häufig stellten. „Wir wollen anregen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen“, sagte Bukow. „Es wirkt auf viele vielleicht staubig, ist aber spannend und begegnet uns jeden Tag.“
Im „Sozialatlas“ werde deutlich, dass die soziale Frage heute keine rein ökonomische Frage sei, weil es zusätzlich unter anderem um Chancen und Teilhabe verschiedener Personengruppen gehe. „Auch die ökologische Frage spielt eine wichtige Rolle“, erklärte Bukow.
Der Sozialstaat schaffe Möglichkeiten zur Gestaltung, weil er „extrem verlässlich“ sei, so Bukow. „Wie einzelne Dinge geregelt werden, ist eine politische Debatte“, sagte er. Dabei müsse seitens der Politik auch die Langfristigkeit neuer Regelungen berücksichtigt werden.
Denn obwohl etwa das Problem der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen seit Jahrzehnten bekannt sei, herrsche im Bereich der Erwerbsarbeit immer noch große Ungleichheit. „Es fehlt an politischem Willen zur Änderung“, kritisierte Bukow. Benachteiligungen müssten in allen Bereichen des Lebens behoben werden. „Wir brauchen einen diskriminierungsfreien Sozialstaat“, forderte die Stiftung.