Brüssel (epd). Um dem Ziel der Klimaneutralität näherzukommen, stuft die EU-Kommission bestimmte Investitionen in Erdgas und Atomkraft als nachhaltig ein. Mit ihrer Hilfe könne der Übergang zu einer klimaneutralen Zukunft beschleunigt werden, erklärte die Behörde am Mittwoch in Brüssel. Inwieweit die EU-Länder Kernkraft oder Gas einsetzen, bleibt aber ihnen überlassen.
Die Kommission erzielte zunächst eine politische Einigung auf einen sogenannten ergänzenden delegierten Rechtsakt zur Taxonomie. Der Text musste noch übersetzt und formell angenommen werden. Die Taxonomie, die im Grundsatz schon vor anderthalb Jahren eingeführt wurde, soll Gelder in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten lenken. Sie schreibt aber weder den Investoren vor, wo sie investieren dürfen, noch bestimmt sie den Energiemix der EU-Länder.
Brüssel rechtfertigte die umstrittene Einstufung von Gas und Kernkraft als nachhaltig, indem diese gleichsam als kleineres Übel dargestellt wurden: „Mit ihrer Hilfe können wir den Übergang von umweltschädlicheren Tätigkeiten wie der Kohleverstromung zu einer klimaneutralen Zukunft mit überwiegend erneuerbaren Energieträgern beschleunigen.“
Zugleich pochte die Kommission darauf, dass Gas- und Kernkraft dafür Bedingungen erfüllen müssen. Die Investitionen in Gastätigkeiten müssen demnach zum Umstieg von der Kohle auf erneuerbare Energieträger beitragen. Bei der Atomkraft müssen Lager für radioaktiven Müll beziehungsweise detaillierte Pläne für Lager vorliegen. Für beide Energiearten gelten zudem Emissionsgrenzwerte.
Die EU-Staaten und das Europaparlament haben nun vier Monate oder im Fall einer Verlängerung sechs Monate, um die Verordnung zu prüfen. In der Zeit können sie Einwände erheben - dafür sind aber bestimmte Mehrheiten nötig. Regierungssprecher Steffen Hebestreit ließ am Mittwoch in Berlin offen, wie sich die Bundesregierung verhält. An der Haltung Berlins, die Einstufung von Atomkraft als nachhaltig abzulehnen, habe sich nichts geändert, sagte er.
Umweltschützer erneuerten ihre Kritik. „Der Rechtsakt setzt nun Anreize für Investitionen in Atom- und Gaskraftwerke und untergräbt die EU-eigenen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele“, erklärte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der WWF urteilte: „Der finale Vorschlag ignoriert, dass fossiles Gas enorme Emissionen verursacht und Atomkraft eine Risikotechnologie ist, die hochradioaktiven Abfall erzeugt, für dessen Entsorgung es bisher keine sichere Lösung gibt.“ Die Bewegung „Fridays for Future“ nannte die Annahme der Verordnung die „größte Greenwashingentscheidung in der Geschichte der EU“.
Grundsätzliches Lob kam mit Blick auf die Gaskraft vom Verband kommunaler Unternehmen. „Transformationskraftwerke leisten einen wichtigen Beitrag für die Energiewende und die Versorgungssicherheit bei Strom und Wärme, weil sie zunächst noch für einen kurzen Übergang fossiles Erdgas, aber später CO2-freie Gase, insbesondere Wasserstoff, nutzen“, erklärte der Verband in Berlin. Allerdings sei die Ausgestaltung des Rechtsaktes nicht gelungen. Die Nachhaltigkeitskriterien seien „zu restriktiv und in der Summe nahezu unerfüllbar“.