Berlin (epd). Zum voraussichtlich letzten Mal in seiner Amtszeit ist der scheidende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag in Berlin mit dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, in der Bundespressekonferenz aufgetreten, um die Corona-Lage zu erklären. Gemeinsam appellierten sie, die am Vortag verschärften Regeln konsequent anzuwenden, um die Infektionszahlen zu senken. Ein trauriger Höhepunkt zu Weihnachten sei aber schon absehbar, sagte Spahn. Die Entscheidung für weitere Beschränkungen sei spät gekommen, immerhin sei sie aber nun getroffen: „Jetzt geht es darum, die Vorgaben umzusetzen, zu kontrollieren und sie auch, so schwer es manch einem in seinem Alltag fällt, zu akzeptieren.“
Bund und Länder hatten am Donnerstag weitere Einschränkungen vor allem für Ungeimpfte beschlossen. Menschen, die weder gegen das Coronavirus geimpft noch von Covid-19 genesen sind, sollen künftig keinen Zugang mehr zu Kultur- und Freizeiteinrichtungen erhalten und auch nicht in Einzelhandelsgeschäften einkaufen können, mit Ausnahme von Supermärkten.
Mit Blick auf den unter Ungeimpften deutlich höheren Anteil an Infizierten und Intensiv-Patienten sagte Spahn: „Wir hätten viel früher diese Konsequenz gegenüber Ungeimpften an den Tag legen müssen.“ Ähnlich äußerte sich die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD) im Nachrichtenmagazin „Spiegel“: „Wir in der Politik müssen uns fragen, ob wir früher Einschränkungen für Ungeimpfte hätten vornehmen müssen“, sagte sie.
Spahn geht nach eigenen Worten davon aus, dass die Krankenhäuser ein schlimmes Weihnachten erleben werden. Die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen werde 5.000 deutlich übersteigen. Derzeit sind es rund 4.800. Die Lage auf den Intensivstationen werde „rund um Weihnachten ihren traurigen Höhepunkt erreichen“, sagte Spahn.
RKI-Präsident Wieler warnte davor, die in dieser Woche in einigen Regionen gesunkenen Fallzahlen als Trendumkehr zu interpretieren. Dafür sei es zu früh, sagte er. Mancherorts zeigten strengere Maßnahmen tatsächlich Wirkung. Andernorts seien niedrigere Fallzahlen aber darauf zurückzuführen, dass die Kapazitäten erschöpft seien. Labore und Gesundheitsämter kämen mit dem Testen und ihren Meldungen nicht hinterher, sagte er.
Am Freitagmorgen meldete das RKI für die zurückliegenden 24 Stunden 74.352 Neuinfektionen. Die Sieben-Tage-Inzidenz bundesweit stieg damit auf den Wert von 442,1 (Vortag: 439,2), nachdem sie an den Vortagen leicht gesunken war. 390 weitere Menschen starben im Zusammenhang mit dem Virus, womit sich die Zahl der Corona-Toten in Deutschland auf 102.568 erhöhte.
Epidemiologen und Virologen äußerten Zweifel an der Berechtigung und an der Wirksamkeit von Kontaktbeschränkungen vor allem für Ungeimpfte. Der Virologe und Stiko-Mitglied Klaus Überla sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“, inzwischen trete fast die Hälfte der Infektionen mit Symptomen bei Geimpften auf. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck warnte, es bestünde die Gefahr, dass sich Ungeimpfte ins Private zurückzögen und ansteckten, aber sich nicht testen ließen, da sie durch die 2G-Regel ohnehin ausgeschlossen seien.
Der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie kritisierte die mangelnde Überprüfbarkeit von Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte im privaten Bereich. „Es wäre besser gewesen, Beschränkungen für alle zu verhängen, also auch für Geimpfte und Genesene“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
Der hannoversche Infektiologe Matthias Stoll hält die von Bund und Ländern beschlossenen Beschränkungen für Ungeimpfte hingegen für richtig. Die Ausweitung der 2G- und 2G-plus-Regel im Handel etwa sei notwendig und belaste ungeimpfte Menschen richtigerweise mehr als geimpfte, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei „rational und fürsorglich“, Ungeimpfte als besonders gefährdete Gruppe vor Ansteckungen zu schützen.